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Schützen & Erhalten · September 2020 · Seite 36 FACHBEREICHE I SCHIMMELPILZE Es schreibt für Sie: Dr. rer. nat. Constanze Messal Fachbereichsleiterin Schimmelpilze Schutower Ringstraße 6 · Gebäude S29 18069 Rostock Telefon: (0381) 637-28280 Telefax: (0381) 637-28281 E-Mail: messal@dhbv.de Die Schimmel-Verschwörung V erschwörungstheorien sind in. Wer diesen Hype nicht verpassen möchte und in Ermangelung einer Kri- milektüre am Mittelmeer noch fundierte Fachliteratur für Balkonien sucht, kann hier fündig werden. Also dekorativ den Aluhut aufs kecke Köpfchen gesetzt und los geht es. Seit Corona wissen wir ja, dass es das, was es gibt, womöglich gar nicht gibt. Daher widmen wir uns zunächst der Frage, wie es sich unter diesem Aspekt mit dem Schimmel verhält. Tier oder Kristall? Im 9. Jahrhundert wurde Schimmel im Althochdeutschen mit Skimbal oder Skimb(a)li bezeichnet, was Fleck, Makel aber auch Glanz bedeutet. Im Mittel- hochdeutschen wurde später Schimel verwendet. Zu dieser Zeit war das weiße Pferd noch ein blancros, später im Mit- telhochdeutschen ein schemeliges perd. Verschimmelt kennt man seit dem 16. Jahrhundert als schimelec oder schimelic. Hexenwerk? Im Mittelalter fragte man sich, ob Schim- mel Hexenwerk ist. Und davon gab es zu dieser Zeit reichlich, man erinnere sich an die Annaberger Krankheit, die 1712 erst Kinder und Jugendliche, später auch ältere Menschen erfasste, Halluzinati- onen, aufgetriebene Leiber, Erbrechen und epileptische Anfälle verursachte (1). Bis 1720 waren mehr als 20 Personen betroffen, denen Hexen und Dämonen Geschenke und Speisen, vor allem Eier anboten, um sie zur Überschreibung ih- rer Seele zu bewegen. Ablehnung wurde mit Krankheit bestraft. Einige verstarben, begingen Selbstmord, wurden in He- xenprozessen über Jahre weggesperrt. Einige wurden jedoch auch als geheilt entlassen. Mediziner wie Geistliche waren sich schnell einig, dass es sich unumstößlich um Zauberei handeln müsse und das durch Feuersbrünste, Seuchen und andere Katastrophen krisengebeutelte Annaberg war nur zu bereit, diesem Glauben zu schenken. Nur zwei Doktoren mit Namen Höpner und Rebentrost wollten sich nicht mit der Situation abfinden und gingen von einer natürlichen Ursache aus, für deren Beseitigung sie quasi die ersten Corona-Regeln der Welt mit insgesamt 31 Paragrafen aufstellten. Die beiden Herren, ihrer Zeit weit voraus mit fort- schriftlichen Ideen wie der Verbesserung der Lebensbedingungen der hauptsäch- lich erkrankten Unterschichten, eckten immer wieder mit den Stadtvätern an. So wurde die Krankheit schließlich 1719 per Erlass aus Dresden durch August den Starken als beendet erklärt: Wer noch krank sein wolle, kommt ins Gefängnis, bis er sich besinnt, keine Hexen mehr zu sehen. Andere Zeiten, andere Lösungen. Bis heute gibt es keine naturwissen- schaftliche Erklärung für das Phänomen, obwohl die Kombination von Seuchen und Lebensmitteln doch aufhorchen lassen sollte. Tatsächlich wird dieser Ausbruch noch heute als typische psychi- sche Reaktion auf die damaligen Zeiten angesehen. So zumindest die Aussage des Forschers Gabor Rychlak. Doch hatte hier der Schimmel seine Hand im Spiel? Oh ja, denn zahlreiche Quellen blieben dem Autor verwehrt. Gesperrt wegen Schimmelbefall. So ein Zufall! Oder doch Pflanzen? Bis in das 17. Jahrhundert hinein stand überhaupt nicht zur Diskussion, was Schimmel wohl sein könnte. Pflanze wurde verneint und so war Schimmel als Kristallwachstum überaus populär. Bild 1: Skimbali auf einer Tomate, es könnte auch ein Tierchen sein. Oder sind es doch Kristalle? (Keyence VHX 900 und 7000, Messal)
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