klein_S&E_01_2022_ub

Schützen & Erhalten · März 2022 · Seite 3 Glos·se, Substantiv, feminin [die]… von altgriechisch „Zunge, Sprache“, über lateinisch glossa. Knapper [polemischer] Kommentar (in Presse, Rundfunk oder Fernsehen) zu aktuellen Ereignissen oder Problemen. Rusalka A m Sonntag, den 06.03., hatte ich das Glück einer ebenso außerge- wöhnlichen wie großartigen Opern- aufführung im Kölner Staatenhaus beizuwohnen. Das Staatenhaus ist der Ersatzspielort des nunmehr seit 10 Jahren aufgrund nicht enden wollender Sanierungsarbeiten geschlossenen Opernhauses. Nicht nur die steten Än- derungen der ursprünglichen Planungs- vorgaben sowie der rege Austausch an Fachunternehmen erinnern hier an den Berliner Flughafen, sondern die Kölner Bauherren scheinen ebenso einen ganz sonderbaren Ehrgeiz entwickelt zu haben, den Gesamtkostenrahmen der Hamburger Elbphilharmonie deutlich zu toppen. Aber was sind schon 1 Milliarde Euro in diesen Zeiten. Eine sonderbare bedrückende Atmo- sphäre überschattete den Abend, ganz anders als die mittlerweile verinnerlichte gesellschaftliche Corona Distanz. So überraschte es dann auch nicht, dass vor Beginn der Aufführung die Intendantin des Hauses, Dr. Birgit Meyer, das zum Aus- druck brachte, was jeder rechtschaffende Mensch in einer freien Welt ohne Gefahr um Leib und Leben freimütig äußern darf. Ich tue es ihr gleich, auch wenn dies hier das Editorial einer Fachzeitschrift ist, und nenne Putins „militärische Sonderaktion“ das, was sie ist, ein völkerrechtswidriger Überfall russischer Streitkräfte auf die Uk- raine und damit ein von einem ruchlosen Despoten heraufbeschworener und be- fohlener durch nichts zu rechtfertigender Angriffskrieg. Gespielt wurde Rusalka, ein Märchen des tschechischen Komponisten Antonín Dvořák, in dem die tragische Liebe einer Meerjungfrau in menschlicher Gestalt und einem jungen Prinzen erzählt wird. Und wie es das Schicksal so will, war die Rolle der Rusalka besetzt mit einer Sopranistin aus St. Petersburg und die des Prinzen mit einem Tenor aus Kiew. Am Ende des dritten und letzten Aktes lag der Prinz getötet am Boden, erstochen von Rusalka, während er sie küsste. Ihr hatte ein böser Dämon, hier in Gestalt einer Hexe, eingegeben, nur durch den Tod des Geliebten aus ihrer eigenen Hand, das alte, vergangene Leben wiedererlangen zu können. Ein Leben, aus dem sie zuvor nach Freiheit strebend ausgebrochen war und in das sie sich nun, gescheitert und völlig unzufrieden mit ihrer gegenwärti- gen Existenz, idealisierend zurücksehnte. Bevor Rusalka tief betrübt über ihre Tat mit den letzten ausklingenden Akkorden die Bühne verlässt, hört sie die Prophe- zeiung ihres Vaters, des allmächtigen Wassermannes und moralische Instanz: Was nützt es dir, dass er verdirbt, dass er in deinem Kusse stirbt! Rusalka, du bist verloren! Wehe! Ein wie gesagt großartiger Opern- abend bei dem sich am Schluss Rusalka und ihr Prinz innig in den Armen lagen, um die stehenden Ovationen des Pu- blikums entgegenzunehmen. Doch so etwas gibt es anscheinend noch nicht einmal im Märchen, aber dafür in der Oper, wo allein in Köln Künstler aus 70 Nationen friedlich und respektvoll miteinander arbeiten. Herzlichst Ihr Friedrich Remes W as für ein Dilemma für den Un- terzeichner. Dass sich Rundfunk oder Fernsehen noch nicht bei ihm gemeldet haben, soll hier nicht thema- tisiert werden, darf er sich doch stolz als Schreiberling für das hervorragende Presseprodukt S&E bezeichnen, wobei ihm allerdings von verschiedenen Kreisen immer wieder ein gestörtes Verhältnis zum Attribut „knapp“ nachgesagt wird. Nein, der Konflikt besteht darin, dass es in den heutigen Tagen absolut nicht opportun scheint, aktuelle Ereignisse polemisch zu kommentieren. Aber wie definiert man heutzutage aktuelle Ereignisse oder Probleme? Vorgestern waren es noch Inzidenz- und Hospitalisierungszahlen, ein versto- ßener britischer Thronerbe 9. Grades, dessen Hang zu Weinstein nichts mit schlechten Trinkgewohnheiten zu tun hat und ein durchgeknallter Tennisprofi mit extravaganter Interpretation von Einreisebestimmungen. Gestern von den reizenden Damen XANDRA und YLENIA allerorts wegge- pustete Hüte und Hütten, Edelmetall- plaketten, verteilt bei den sogenannten „Olympischen Spielen“, einer seelenlosen und empathiefreien Profitmaschine, die diesmal Station in der bekanntermaßen schneesicheren Wintersportblase Beijing machte und, als angewandte kreative Provinzpolitik, die großzügige Ausweisung von Brauchtumszonen in Großstädten, ein Begriff, der bislang wenig geläufig war. Heute dann unfassbare Bilder aus einem europäischen Land, zwei Flug- stunden entfernt, in Szene gesetzt von einem lupenreinen Demokraten, der sich, nicht zu stoppen von seinem Gazprom- Menschenrechtsbeauftragten, seine ganz eigene „Brauchtumszone“ zurückerobern möchte, wie seine kruden Rechtfertigun- gen mutmaßen lassen. Und morgen, d. h. wenn Sie dieses Blatt in den Händen halten? Sitzen wir alle auf einem Pulverfass, ausgerüstet mit 1,5-Kilo-Handfeuer- löschern und warten auf Nenas „99 Kriegsminister mit Streichholz und Ben- zinkanistern“? Oder hat Vernunft, Menschlichkeit und eine allgemeingültige Definition von Völkerrecht wieder Eingang in die Köpfe der Mächtigen dieser Welt finden können? In diesem Sinne: … wenn einem eigentlich die Worte fehlen, muss es auch mal knapp werden … Ihr Ralf Hunstock

RkJQdWJsaXNoZXIy OTg3NzQ=