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Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege DEUTSCHLAND INFORMATIONEN Welche Bedeutung haben Quartiers- konzepte bei der regenerativen Energie- versorgung von denkmalgeschützten Gebäuden? Dieser und weiteren Fragen sind Prof. Claudia Marx und Prof. John Grunewald, beide TU Dresden, nachge- gangen. Die beiden Experten haben dazu in einem Interview Antworten geliefert. Frage: Wie sehen Sie die regenerative Energieversorgung von Denkmalen in Quartierskonzepten? Claudia Marx: Vorausgeschickt sei, dass Baudenkmale Teil unseres kulturellen Erbes sind. Sie sind Orte der Erinnerung, stiften Identität und sind Wissensspei- cher, die es für zukünftige Generationen zu bewahren gilt. Mir erscheint der der- zeitige Fokus auf Photovoltaikanlagen auf besonders wertvollen Bestandsge- bäuden kurzfristig und nicht ganzheit- lich gedacht. Wenngleich in der jüngsten Vergangenheit hohe Energiepreise und der fortschreitende Klimawandel auch im Denkmalbereich vermehrt zu Diskus- sionen über die Energieversorgung und energetische Sanierung von denkmalge- schützten Bauten geführt haben. Vor die- semHintergrund erscheint es mir wichtig, auch auf die Energie zu verweisen, die bei ihrer Herstellung aufgewendet wurde und aufrechterhalten werden sollte. Deshalb erscheinen mir in Bezug auf die regene- rative Energieversorgung von Denkmalen Quartierskonzepte sinnvoller als die Ein- zelbetrachtung von Gebäuden mit mög- licherweise einschneidenden Eingriffen in die Bausubstanz und das Erscheinungs- bild von baukulturell wertvollen Gebäu- den. Doch gleichzeitig bin ich mir auch der Herausforderungen bei der Umset- zung von gemeinwohlorientierten ener- getischen Quartierskonzepten bewusst. John Grunewald: Es lohnt sich auf jeden Fall, dezentrale Quartierskonzepte stär- ker in den Fokus zu rücken, im Hinblick auf eine möglichst autarke Versorgung mit regenerativer Energie aus dem nahen Umfeld. Dazu schafft die Quartiersbe- trachtung Synergien insbesondere bei der regenerativen Wärmeversorgung. Es wird leichter, denkmalgeschützte Gebäude in einem Quartier mitzuversorgen. Und eines ist gewiss: Auf Quartiersebene wird es viel eher möglich sein, Flächen- potentiale sinnvoll zu erschließen und Abwärme aus verschiedenen Quellen mit einzubinden – dies als Schlussfolgerung aus den bereits angelaufenen kommu- nalen Wärmeplanungen der Städte und Gemeinden. Frage: Frau Marx, wie ist es dabei um die Wirtschaftlichkeit bestellt? Claudia Marx: Die Frage der Wirtschaft- lichkeit hat Einfluss auf die öffentliche Akzeptanz und Realisierbarkeit von dezentralen Energiesystemen auf Quar- tiersebene. John Grunewald: Dem kann ich nur zustimmen. Fossiles Gas war in der jün- geren Vergangenheit sehr günstig. Folge- rung daraus war, dass dezentrale regene- rative Wärmeversorgungskonzepte nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich sind. Wir müssen umdenken und stärker werte- geleitet handeln. Wir müssen den Ener- gieimport verringern und die Nutzung lokal verfügbarer regenerativer Energien verstärken. Im Fokus steht dabei auch die weitgehende energetische Autarkie. Daneben ist auch der regionale und über- regionale Verbund unverzichtbar. Claudia Marx: Ergänzen möchte ich, dass quartiersbezogene Konzepte auch eine wichtige soziale Komponente haben. Frage: Welche soziale Komponente ist damit gemeint? John Grunewald: Es ist eine gemeinsame Willensbildung notwendig, um als Quar- tiersgemeinschaft zu denken und zu han- deln. Die Menschen vor Ort können sich mit ihren unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen einbringen. Daraus folgt, dass dezentrale Energiekonzepte viel besser an die jeweiligen örtlichen Gege- benheiten angepasst werden können und maßgeschneiderte energetische Versor- gungslösungen möglich werden. Claudia Marx: Kritisch anmerken möchte ich, dass bei Sanierungsmaßnahmen auf Standardlösungen, die bei der Errich- tung von Neubauten Anwendung finden, zurückgegriffen wird. Das kann zu Bau- schäden und dem unnötigen und nicht wiedergutzumachenden Verlust von historischer Bausubstanz führen. Dabei sollte der Erhalt eines Denkmals – seiner historischen Bausubstanz und seines Erscheinungsbildes – oberste Priorität haben, und sein Wert nicht untergraben werden. Gerade wenn man über die ener- getische Verbesserung von denkmal- geschützten Gebäuden nachdenkt, sind umfassende objektspezifische Analysen Interview mit Prof. Claudia Marx und Prof. John Grunewald zu regenerativer Energieversorgung Oberste Priorität: Erhalt von wertvoller Bausubstanz SERIE „Deutschland ist gebaut. Wir kümmern uns um den Bestand“ – Teil 1 Schützen & Erhalten · Dezember 2023 · Seite 66
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