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Schützen & Erhalten · September 2017 · Seite 22 Fachbereiche Schimmelpilze Brauchen wir Schimmelgrenzwerte? Vom Umgang mit Aufmerksamkeits-, Richt- und technischen Kontrollwerten Letztens beim Frühstück mit Kollegen: ein Post bei Facebook löst Empörung aus. Wieso dürfen Diesel-PKW nicht fahren, wenn der Umweltgrenzwert überschritten wird, ein Arbeiter aber darf am Arbeits- platz der 24-fachen Konzentration an Stickoxiden ausgesetzt werden? Oder auf der letzten Weiterbildung für Restau- ratoren. Empörung auch hier als Aufmerksam- keitswerte für Schwermetalle und Holzschutz- mittel im Hausstaub und im Vergleich dazu zu- lässige Arbeitsplatzkonzentrationen vorgestellt werden, die mal eben um das 100-fache höher liegen können. Um es kurz zu machen: ja – das ist so. Und das hat seinen Grund. Und wenn wir das heu- te etwas genauer unter die Lupe nehmen, klärt sich vielleicht zum Ende des Artikels auch auf, warum das mit den Schimmel-Grenzwerten ein- fach nicht klappen kann. Bewertung von Schimmelschäden – brauchen wir Grenzwerte? Wer sich mit Schimmelpilzen befasst, kann sich der Diskussion über Grenzwerte bei Schimmel- schäden gar nicht entziehen. Auch hier wird in Foren heiß diskutiert und einen eine Vielzahl von Begriffen um die Ohren gehauen, wie Auf- merksamkeitswert, Hintergrundwert, Leitwert, Richtwert, Grenzwert und so weiter. Doch was verbirgt sich dahinter und wieso können da so gravierende Abweichungen bestehen, wie z. B. gerade bei Dieselgate diskutiert wird? Das er- klärt sich fast von selbst, wenn man auf die Ent- stehung und den Geltungsbereich der einzelnen Werte schaut. Vom Hintergrundwert zur Ausbauempfehlung Hintergrundwerte belegen eine übliche Kon- tamination mit Schimmelpilzbestandteilen und Mikroorganismen, die je nach Baustoff, Alter des Gebäudes, Nutzung und weiteren Parametern auftreten, ohne dass offenkundig ein Schimmel- schaden auftrat. Hintergrundwerte entstehen, wenn über eine Vielzahl von Beprobungen an schadensfreien Objekten Daten zusammenge- fasst werden und diese mit Objekten verglichen werden, bei denen entweder eindeutig ein Scha- den festgestellt oder mikrobiologisch ausge- schlossen wurde. Anders als in der Physik wird hierbei nicht mit Mittelwert und Standardabweichung gear- beitet, um einen Hintergrundwert zu definieren, da die natürliche Schwankung und Diversität in biologischen Systemen einfach größer und schwerer zu beschreiben ist als bei festen Na- turkonstanten. Daher wird stattdessen mit Per- zentilen gearbeitet. So beschreibt das 25. Per- zentil genau den Messwert, unter dem 25Prozent aller Messergebnisse liegen. Beim 50. Perzentil liegen 50% aller Ergebnisse unterhalb dieses Messwerts und beim 95. Perzentil sind 95% al- ler Ergebnisse erfasst. Das 100. Perzentil wäre dann der höchste gemessene Wert. Daraus lassen sich jetzt statistisch relevante Zusammenhänge ableiten, insbesondere beim 95. Perzentil. Das bedeutet, dass das 95. Per- zentil sowohl ganz kleine Werte, das Mittelfeld aber auch ein paar sehr hohe, auffällige Werte beinhaltet. Also umfasst es schadensfreie, also normale Messwerte bis zum 50. Perzentil, einen Graubereich und Werte, die mit einem Schaden im Zusammenhang stehen. Was einen Schimmelschaden betrifft, so haben diverse Labore bei der Untersuchung von Materialproben auf Schimmelpilze mittels Suspension und Kultivierung übereinstimmend das 95. Perzentil mit einer Belastung von ca. 100.000KBE/g ermittelt [4, 5, 6, 7], sodass ein Ergebnis in dieser Größenordnung als sicheres Indiz für einen Befall angesehen wird. Daher wird dieser Wert auch als Aufmerksamkeits- wert bezeichnet. Entnimmt man nun z. B. eine Materialpro- be aus einem Fußbodenaufbau und ermittelt in KBE/g einen Wert oberhalb des 95. Perzentils, so kann ein Schimmelschaden als sicher angese- hen werden. Ein Nachweis von Schimmelpilzen oberhalb dieses Aufmerksamkeitswertes recht- fertigt eine Ausbauempfehlung. Daher wird hier auch von einem Ausbaukriterium gesprochen. In der Tabelle 1 sind diese Bewertungskriterien für diverse Baumaterialien dargestellt (aus 4). Bei Innenraumschadstoffen wie Schwer- metallen, Holzschutzmitteln oder VOC wird ab- weichend bereits das 90. Perzentil als Aufmerk- samkeitswert bezeichnet – erreicht man diesen Wert, ist eine Innenraumquelle wahrscheinlich, die dann weiter eruiert werden muss. Ganz wichtig: über die Definition von Hin- tergrundwerten bis hin zu einem Aufmerksam- keitswert kann im Schadensfall lediglich abge- leitet werden, dass eine Quelle an Innenraum- schadstoffen und Schimmelpilzen vorliegt, die Schadenscharakter trägt. Eine Gesundheitsge- fährdung lässt sich hiervon jedoch nicht ablei- ten (1, 2, 13)! Richtwerte Richtwerte werden z.B. durch den Ausschuss für Innenraumrichtwerte der Obersten Landes- gesundheitsbehörden festgelegt und sind toxi- kologisch begründet. Sie sind allgemeingültig, gelten somit auch für Kinder und kranke Per- sonen, haben aber nur Empfehlungscharakter. Definiert sind sie wie folgt: „Der Richtwert I (RW I – Vorsorgerichtwert) beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der bei einer Einzelstoffbe­ trachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch dann keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, wenn ein Mensch diesem Stoff lebenslang ausgesetzt ist. Eine Überschreitung ist allerdings mit einer über das übliche Maß hinaus gehenden, unerwünschten Belastung verbunden.“ „Der Richtwert II (RW II – Gefahrenrichtwert) ist ein wirkungsbezogener Wert, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiolo­ Es schreibt für Sie: Dr. rer. nat. Constanze Messal Fachbereichsleiterin Schimmelpilze Neubrandenburger Str. 33 · 18055 Rostock Telefon: (0381) 637-28280 Telefax: (0381) 637-28281 E-Mail: messal@dhbv.de Material Verdünnung und Kultivierung mit der Suspensionsmethode – Konzentration in KBE/g Gipskarton ab 10 5 entfernen OSB, Spanplatten und andere Holzwerkstoffe ab 10 5 entfernen Mineralwolle-Dämmung neu Mineralwolle-Dämmung alt ab 10 4 entfernen ab 10 5 entfernen Trockenestrich ab 10 4 entfernen Fußbodenaufbau mit KMF ab 10 5 entfernen Fußbodenaufbau mit Styropor ab 10 5 entfernen Tabelle 1: Aufmerksamkeitswerte, die aus dem 95. Perzentil nach der Suspensionsmethode abgeleitet sind und als Empfehlung den Ausbau der befallenen Materialien gelten [4, 5]: wenn Schimmelpilzbefall visuell oder olfaktorisch wahrnehmbar ist und wenn bei der Analyse der Proben mithilfe der mikroskopischen Methode Myzelien und Sporenträger erkennbar sind. Die vorgeschlagenen Konzentrationen in KBE/g gelten nicht, wenn in den Proben die Schimmelpilzarten Stachybotrys chartarum, Aspergillus fumigatus und Aspergillus flavus vorzufinden sind.

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