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Schützen & Erhalten · Juni 2018 · Seite 3 Editorial II Alles fake, nicht mehr als eine Ansammlung alternativer Wahrheiten I n Lyon jedenfalls, dem Ziel der diesjäh- rigen DHBV-Bautenschutzexkursion, kommen jene, die hinter alles und jedem eine geschickt inszenierte Täu- schung der Sinne sehen, voll auf ihre Kosten. Vielleicht hat ja die Manipu- lation von Auge und Verstand hier eine gewisse Tradition, seitdem die Brüder Lumière am 22. März 1895 einem ausgewählten Lyoner Publikum ihre Erfindung den Cinématographen vorstellten, der es erstmals ermöglichte, Illusionen in bewegten Bildern auf die Leinwand zu projizieren. In Anbetracht dieses frühen Erfin- dungsreichtums erscheint die derzeitige Methode, mit der man heute in Lyon ver- sucht, das Auge des Betrachters zu täu- schen, geradezu archaisch, und dennoch ist es in seiner Perfektion so genial, dass es an die großen Meister der Renaissance und des Barocks erinnert. Gemeint ist hier ein Sanierungskonzept, das hässliche städ- tebauliche Wahrheiten ganz „einfach“ unter Wandmalereien verschwinden lässt. Alles fake – aber hier auf eine derart faszinierend charmante Art dargeboten, dass es geradezu Freude macht, sich täu- schen zu lassen. Herzlichst Ihr Friedrich Remes I Glosse I Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt … W elch wahren und visionären Satz hat der alte Namensvetter un- seres geschätzten Bundesgeschäftsfüh- rers und professioneller Zunftgenosse des Unterzeichners, der Dramaturg Friedrich Schiller, seinem Protagonisten Tell da vor mehr als 200 Jahren in den Mund gelegt. Noch oder grade heute wird zuneh- mend und allerorten Streit von deutschen Gartenzäunen gebrochen, deren Gründe oft so lächerlich sind, dass sich eine Auf- zählung eigentlich verbietet. Es geht um bellende Dackel und to- bende Kinder, Fahrräder und Kinderwa- gen im Hausflur, die Mittagsruhe störende Laubsaugerattacken, Augenkrebs erzeu- gende Fußabtreter und unzüchtige Gar- tenzwerge, die mit heruntergelassenen Hosen im öffentlich einsehbaren Vorgar- ten schamlos urinieren. Man beklagt wahlweise mit zu nied- riger Toleranzschwelle zu hohe Liguster- hecken oder zu hohem Blutdruck zu klei- ne Grenzabstände von laubabwerfenden Nutzhölzern. Aber wer schon bei einer zünftigen Konfrontation am in besseren Zeiten ge- meinschaftlich errichteten Jäger-Grenz- zaun die Nerven verliert, dort wo der Zwist selten über derbe Verbal-Attacken hinaus zu Drohgebärden mit der Grabegabel es- kaliert, ist nicht bereit für die Champions- League der sinnfreien Streitkultur – der Eigentümerversammlung. Da kauft man sich im hippesten In- nenstadtkiez ein 35-qm-Appartement zu einem Preis, zu dem man 20 km vor der Stadt einen schmucken Resthof mit 10 Hektar Land inkl. einem Dutzend schwarz- bunter Milchkühe hätte erwerben können und dann das … Eingepfercht zwischen gleichgestellten Partitionären am Gemeinschaftseigentum muss man geduldig den wichtigen Tages- ordnungsanträgen eines offensichtlich durch eine Überdosis Kukident befeu- erten frühpensionierten Oberstudienrats lauschen, dessen Restlebensinhalt darin besteht, prinzipiell gegen Alles und Jeden zu sein. Da wird die einstimmig zu beschließende farbliche Umgestaltung der Müllboxenanlage zum abend- füllenden Workshop zum The- ma „Behalte die Geduld in allen Lebenslagen“. Dieser Lehrgang muss auch zum zentralen Prüfungsstoff angehender Juristen gehören. Anders ist nicht zu erklären, wie ein Richter, eben noch Vorsitzender in einem Verfahren um Kindesmissbrauch, plötzlich zwischen zwei Nachbarn mit Komplika- tionshintergrund nervenstark schlichten kann, die sich uneins über die zulässige Rauchentwicklung von Holzkohlegrillan- lagen bei Westwind an Septemberwo- chenenden sind. Da lobt sich der Verfasser die Leich- tigkeit der französischen Nation. Angeführt und -gefeuert vom uner- bittlichen Drill-Sergeant, in Person einer bezaubernden Reiseleiterin, traboulierten Teile der Verbandsmitglieder jüngst durch die engen Gassen und privaten Hinterhöfe des schönen Lyon, ohne dass es zu nen- nenswerten Kontroversen mit der einge- borenen Bevölkerung kam, die über um Verständnis bittende Zeige- finger vor den Lippen hi- nausgingen. Vive la France! In diesem Sinne: Bei Grenzkonflikten jeder Art immer gelassen bleiben, auch wenn man grade emo- tional ganz nah am Mittel- finger gebaut ist. Ihr Ralf Hunstock Triste Fassaden als Leinwand – hier für das Titelbild Foto: Dr. Dietger Grosser

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