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RA Dr. Harald Volze, Frankfurt/ Main Die hiergegen eingelegte Beschwer- de hat das Oberlandesgericht Frank- furt zurückgewiesen mit der Be- gründung, dass die 2-Wochen-Frist für einen Befangenheitsantrag bereits abgelaufen gewesen sei und die Befangenheit sich außerdem nur auf die Mangelhaftigkeit des Gutachtens erstrecke und mit dem Beitritt des Sachverständigen auf einer Prozessseite nichts zu tun habe (OLG Frankfurt/Main DS 2005, s. 30). Das Verfahren vor dem Land- gericht nahm daraufhin wieder seinen Fortgang. Der gerichtliche Sachverständige, der auf Seiten des Bauherrn beigetreten war, wurde angehört. Aufgrund der Ausführun- gen des gerichtlichen Sachverstän- digen X hat das Landgericht den Bauunternehmer verurteilt. Der Bauunternehmer ging dar- aufhin in das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht. Dort wurde zunächst in einem ersten Termin verhandelt. Hier waren der Bauherr und der Rechtsanwalt des Bauunternehmers und der Rechts- anwalt des Sachverständigen zu- gegen. Da man eine Einigung zwischen dem Bauunternehmer und dem Bauherrn nicht erreichen konnte, wollte das Oberlandesgericht wei- teren Sachverständigenbeweis er- heben und beauftragte den Bau- sachverständigen S. mit der Erstel- lung eines weiteren Gutachtens. Im nachfolgenden Termin vor dem Oberlandesgericht wurden die Verfahrensbeteiligten überrascht von der Mitteilung, dass das Ober- landesgericht den gerichtlichen Sachverständigen durch seinen Beitritt auf der einen Seite der Prozesspartei von Amts wegen – vergleichbar mit einem Richter – als ausgeschieden aus dem Verfah- ren ansehe. Der Rechtsstreit wur- de durch Urteil des Oberlandesge- richts an das Landgericht zurück verwiesen (OLG Frankfurt/Main DS 2005, S. 30). Hiergegen wurde der Antrag auf Zulassung der Revision gestellt. Der Bundesgerichtshof ent- schied, dass der gerichtliche Sach- verständige durch seinen Beitritt auf einer Prozessseite nicht von Amts wegen befangen sei und ver- wies den Rechtsstreit an das Ober- landesgericht Frankfurt zurück, das nunmehr in der Sache neu entschei- den muss (BGH DS, S. 107 mit Anmerkung Volze). Der BGH hat aber in einem Nebensatz deutlich gemacht, dass er rechtliche Zweifel an der Vor- gehensweise der Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sach- verständigen hat. II. Bisherige Lösungsmöglichkeiten 1. Das OLG München (IBR 2006, S. 239) sieht eine Streitverkün- dung gegenüber dem gericht- lichen Sachverständigen als rechtsmissbräuchlich an und lehnt eine Zustellung des Schriftsatzes mit der Streitver- kündung an den Sachverstän- digen ab. Auch das OLG Koblenz (BauR 2006, S. 144) lehnt eine Streitverkündung als generell unzulässig ab und hat den Schriftsatz mit der Streitver- kündung ebenfalls nicht zuge- stellt. Der Sachverständige hat keine wesentlich andere Stel- lung, als der Zeuge bei der Wahrheitsfindung des Gerichts, selbst dann, wenn der Bundes- gerichtshof mehrfach hervor- gehoben hat, dass der Sach- verständige als Gehilfe des Ge- richts anzusehen ist (BGH NJW 1998, S. 3355, BGH NJW 1994, S. 801 ff. (802)). Das OLG Celle (OLGR Celle 2006, S. 103) bejaht die Zu- stellung der Streitverkündungs- schrift. 2. Die zwischenzeitlich überwie- gend vertretene Rechtsauffas- sung, wonach der Sachverstän- dige nicht Dritter im Sinne des § 72 ZPO sei und man ihm des- halb auch nicht den Streit ver- künden dürfe, ist nicht über- zeugend. Dritter ist jeder, der nicht Partei in einem Prozess- rechtsverhältnis ist. Dieses Prozessrechtsver- hältnis besteht zwischen Klä- ger und Beklagtem (Weise, „Streitverkündung an den Ge- richtssachverständigen“ in NJW Spezial, Heft 4, 2006, S. 165; Spitzer DS 2006, S. 104; Bock- holdt NJW 2006, S. 122 (123)). Zwar wird auch die Auffas- 3. Auch die Lösungsmöglichkeit des Rechtsmissbrauches, wo- nach gegenüber einem gericht- lichen Sachverständigen keine Streitverkündung ausgespro- chen werden darf, erscheint zweifelhaft (Böckermann MDR 2002, S. 1349 ff.; Rickert/Kö- nig NJW 2005, S. 1829 ff.; Schwab DS 2006, S. 20 ff., Kamphausen IBR 2005, S. 270). Zunächst ist bekanntlich die Rechtsmissbräuchlichkeit in der Rechtsfindung ein außer- ordentlich subjektives Moment, das sich nur schwer im Voraus bestimmten lässt. In der Re- gel kommt es hier immer auf den Einzelfall an. Tatsache ist, dass die Streitverkündung gegenüber dem Beweismittel des Sachver- ständigen gemäß der ZPO wohl als zulässig angesehen werden muss; insbesondere wurde bis- lang die Streitverkündung ge- genüber einem Zeugen, dessen Aussage prozessentscheidend ist, bisher nicht als rechts- missbräuchlich angesehen (ge- gen Rechtsmissbräuchlichkeit: Bockholdt NJW 2006, S. 122; Spitzer DS 2006). DIE FACHBEREICHE Sachverständige Diese Rechtsauffassung er- scheint mir zweifelhaft, da Rechtsmissbräuchlichkeit ein materiell rechtlicher Einwand ist und kein förmlicher bei einer förmlichen Argumentation. Nach der ZPO gibt es keine Vor- schrift, die die Zustellung ei- ner Streitverkündungsschrift verhindern kann (Bockholdt NJW 2006, S. 122 ff. (123); Spitzer DS, S. 144 ff. (147)). Auch ein Zeuge, dessen Aussage maßgeblich ist für den Ausgang eines Rechtsstreites, kann von einer der Prozesspar- teien vor seiner Aussage mit einer Streitverkündung über- zogen werden. sung vertreten, dass das Pro- zessrechtsverhältnis über die Parteien des Verfahrens hinaus auch auf die Einbeziehung des Gerichts erstreckt (Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozess- recht, 16. Auflage, S. 12 mit weiterer Darstellung der Betei- ligten des Prozessrechtsverhält- nisses). Der Sachverständige ist als Gehilfe des Gerichts hier nicht mit einbezogen. Die Rechtsauffassung, dass der gerichtliche Sachverstän- dige kein Dritter in der Zivil- prozessordnung ist, dürfte rechtsdokmatisch nicht haltbar sein. Schützen & Erhalten · Juni 2006 · Seite 18

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