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Die Brückenkreuzspinne

Vor einigen Jahren haben die Berliner sich

über ein massives Auftreten von Spinnnet-

zen an der historischen Weidendammbrücke

im Stadtzentrum gewundert. Schuld daran

war die sogenannte Brückenkreuzspinne

(Larinioides sclopetarius),

die, wie der

Name schon andeutet, ihre Netze gern

an Brücken und anderen Bauwerken in

Wassernähe befestigt. Besonders beliebt

sind Brücken mit Straßenlaternen. Diese

Spinnenart ist hauptsächlich nachtaktiv

und die künstliche Beleuchtung der Stadt

lockt viele Futtertiere an, wie Motten oder

Insekten deren Larven aus dem Wasser

schlüpfen.

Larinioides sclopetarius

findet man europaweit

und auch in Nordamerika. Sie gehört der Fami-

lie der Radnetzspinnen (Araneidae) an und ist

mit der gewöhnlichen Kreuzspinne

(Araneus di­

adematus)

nah verwandt. Erwachsene Weibchen

der Brückenkreuzspinne haben eine Körperlange

vom 10–13mm (ohne Beine), Männchen sind ein

bisschen kleiner mit 6–8mm. Der Vorderkörper

ist graubraun und zeigt ein typisches, weiß ge-

rändertes ‚V‘-Muster. Der Hinterleib ist etwas

abgeflacht und die dunklen Muster hier an der

Oberfläche sind auch fein weiß gerändert. Die

Beine sind bräunlich mit dunklen Ringen. Wie

andere Radnetzspinnen baut

Larinioides sclope­

tarius

ein mehr oder weniger rundes Fangnetz,

das bis zu 70 cm Durchmesser haben kann.

Eine große Spinnen-WG?

Bemerkenswert bei der Brückenkreuzspinne

ist die Tatsache, dass ihre Netze gelegentlich

dicht beieinander vorkommen – so dicht, dass

die Einzelnetze manchmal zu einer Art ‚Netzep-

pich‘ aus Seide verschmelzen können! Erwachse-

ne und Jungtiere leben hier friedlich zusammen,

was eher ungewöhnlich für Spinnen ist, weil die

meisten Arten Einzelgänger sind, die ihre Netze

bzw. ihr Revier gewaltsam verteidigen. Eine 2004

veröffentlichte Studie von Markus Schmitt von

der Universität Duisberg-Essen stellte fest, dass

die Brückenkreuzspinne fast die einzige mittel-

europäische Spinnenart ist, bei der die Netze

von benachbarten Spinnen dauerhaft Kontakt

miteinander haben können. Gruppen von ca.

60 bis 200 Individuen können auf diese Weise

zusammen leben.

Larinioides sclopetarius

wur-

de deshalb als ‚parasozial‘ bezeichnet. Mit an-

deren Worten, in Anwesenheit eines reichlichen

Nahrungsangebots können diese Spinnen eine

Art lockere ‚Wohngemeinschaft‘ bilden und in

großen Mengen auftreten. Diese ‚Wohngemein-

schaft‘ ist aber anders als bei Bienen, Ameisen

oder Wespen. Es gibt weder eine Spinnenköni-

gin noch eine Aufteilung der Gruppe in Arbeiter

und Soldaten. Das Sozialleben dieser Spinnen

als Gruppentiere ist sehr einfach und nur am

Anfang der Evolution.

Wichtig zu wissen ist, dass diese Tiere uns

gegenüber nicht aggressiv sind und dass ihr Gift

nicht als besonders stark bekannt ist. In dieser

Hinsicht stellen Brückenkreuzspinnen für Men-

schen überhaupt keine Gefahr dar.

Erfolgreiche Kolonisten der Großstadt

Vielleicht mögen sie uns sogar? Die Brücken-

kreuzspinne ist eines der Tiere, das vom Dasein

der Menschheit deutlich profitiert hat. In der Na-

tur leben diese Spinnen an Felsen in Wassernähe.

Inzwischen finden wir sie sehr viel häufiger in

Städten, wo sie gern unsere Gebäude als ‚Ersatz-

Felsen‘ benutzen. Prächtige, winkelige Bauwerke

mit vielen kleineren Spalten, in denen sich die

Tiere tagsüber verstecken können, sind beson-

ders beliebt. Eine Stadt hat weitere Vorteile. Die

Hauptfeinde der Spinnen sind Vögel. Aufgrund der

geringen Zahl der Bäume gibt es – im Vergleich

zum natürlichen Habitat auf dem Land – weni-

ger Vögel in der Stadt, die die Spinnen angreifen

könnten. Dahingegen bietet die Stadt mit den

vielen Insekten, die vom Straßenlicht angelockt

werden, den Spinnen viel Nahrung an.

Das alles zusammen erklärt das Massenauf-

treten, welches manchmal zum Streit zwischen

Mensch und Tier führen kann. Spinnen sind längst

nicht jedermanns Sache und manche Stadtbe-

wohner empfinden das Dasein dicker Netzep-

piche als unangenehm oder ‚schmutzig‘. Der Kot

der Spinnen kann tatsächlich den Bereich unter

den Netzen verschmutzen, wenn es sich um eine

große Kolonie handelt. Aber soweit wir wissen,

sind die Netze für die Gebäude an sich nicht

schädlich. Die Spinnenseide klebt einfach am

Bauwerk und beinhaltet keinen Wirkstoff, der die

Struktur verfärben oder dauerhaft beschädigen

könnte. Die Frage ist, ob wir den Anblick eines

großen Spinnennetzes erdulden wollen. Ein öko-

nomischer Schaden kann durch

Larinioides sclo­

petarius

entstehen, wenn das Verlangen nach

regelmäßigen Putzaktionen aufkommt. Ob das

viel bringt ist fraglich. Gut gefütterte Spinnen

können ziemlich schnell ihre zerstörten Netze

wiederaufbauen. Die Verwendung von starken

Pestiziden an offenen Straßen, um die Spinnen

direkt zu töten, ist vielleicht nicht unbedingt

wünschenswert (wenn nicht sogar verboten).

Neue Kolonisten könnten übrigens den zuvor

entleerten Lebensraum mühelos neubesiedeln.

Tatort Hamburg

Als Beispiel, die Hafenstadt war 2010–2011

mehrmals wegen dem großen Auftreten der Brü-

ckenkreuzspinne in der Boulevardpresse. Feuch-

tes warmes Wetter fördert die Vermehrung, so

dass die Bild-Zeitung dieses offensichtlich sehr

fruchtbare Tier, das mehr als 1.500 Nachkommen

bekommen kann, als ‚Rammelspinne‘ bezeichne-

te. Für viele war das massive Aufkommen eine

unangenehme Begegnung, obwohl mindestens

zwei Leute davon profitierten. Die Doktorandin

Anja Kleinteich von der Universität Hamburg und

ihre Betreuerin Prof. Dr. Jutta Schneider konnten

eine 2011 veröffentlichte Studie zur Fortpflan-

zung und Ökologie von

Larinioides sclopetarius

anfertigen. Die Forscherinnen konnten gewisse

Anpassungsfähigkeiten der Brückenkreuzspin-

ne feststellen, wie zum Beispiel ein besonders

schnelles Wachstum und einen rascheren Rei-

fungsprozess in Ökosystemen (wie der Stadt)

mit einem erhöhten Nahrungsangebot. Das

könnte ein wichtiger Teil des Erfolgsrezepts der

Brückenkreuzspinnen sein. Wenn es sehr viel zu

essen gibt, passen sie ihre Entwicklungsbiologie

an und reifen rascher als normal, um schneller

Nachwuchs zu produzieren, der dann vom ‚Fest-

mahl‘ auch profitieren kann. Unter diesen Um-

ständen ist vorauszusehen, dass die Brücken-

kreuzspinne ein immer häufiger auftretender

Stadtbewohner sein wird.

Jason A. Dunlop und Mattes Linde

Museum für Naturkunde Berlin

[1] Schmitt, M. 2004. Larinioides sclopetarius, eine

parasoziale Spinne Mitteleuropas? Arachnologische

Mitteilungen, 27/28: 55–67.

[2] Kleinteich, A. & Schneider, J. 2011. Developmen-

tal strategies in an invasive spider: constraints and

plasticity. Ecological Entomology, 36: 82–93.

[3]

http://www.uni-hamburg.de/biologie/BioZ/zis/vb/

for/ls.html

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Foto ©Christian Komposch – ÖKOTEAM, Graz

Schützen & Erhalten · März 2015 · Seite 60