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DHBV INTERN – Schützen & Erhalten · September 2001 · Seite VI
DHBV INTERN – INFORMATIONEN NUR FÜR DHBV-MITGLIEDER
Kündigungsschutzgesetz
Kündigungsschutz in Kleinbetrieben
Urteil des Bundesarbeitsgerichts – 2 AZR 15/00 – vom 21. Februar 2001
Auch in Kleinbetrieben, in
denen das Kündigungs-
schutzgesetz keine Anwen-
dung findet, hat der Arbeit-
geber bei Kündigungen ein
Mindestmaß an sozialer
Rücksichtnahme zu wahren.
Das Bundesarbeitsgericht hat in
seinem Urteil vom 21. Februar
2001 entschieden, dass auch der
Arbeitgeber, der regelmäßig fünf
oder weniger Arbeitnehmer be-
schäftigt, im Falle der Kündigung
ein Mindestmaß an sozialer Rück-
sichtnahme bei der unter den
kündbaren Arbeitnehmern durch-
zuführenden Abwägung zu berück-
sichtigen hat. Anderenfalls kann
die Kündigung gegen Treu und
Glauben gemäß § 242 BGB ver-
stoßen und deshalb unwirksam
sein.
Sachverhalt
Dem Rechtsstreit lag folgender
Sachverhalt zu Grunde:
Die Parteien haben über die
Wirksamkeit einer ordentlichen
Kündigung gestritten. Der Beklag-
te, der Inhaber einer KfZ-Lackie-
rerei war, beschäftigte fünf Arbeit-
nehmer. Zum 30. September 1998
kündigte er dem 1946 geborenen
Kläger nach 18 Jahren Betriebs-
zugehörigkeit. Bei den übrigen
Arbeitnehmern handelte es sich
um einen Arbeitnehmer, der ge-
genüber vier Kindern unterhalts-
pflichtig war, jünger war als der
Kläger und kürzer als dieser be-
schäftigt war, einen Arbeitnehmer,
der ein Jahr jünger war als der
Kläger, verheiratet und ebenfalls
kürzer als dieser beschäftigt, den
ebenfalls jüngeren Sohn des Be-
klagten, der kürzer als der Klä-
ger beschäftigt war und einen
weiteren ledigen, ebenfalls jün-
geren und erst seit fünf Jahren
bei dem Kläger beschäftigten Ar-
beitnehmer.
Der Kläger war der Ansicht, die
Kündigung verstoße gegen die
allgemeinen zivilrechtlichen Vor-
schriften der §§ 242, 138 BGB und
sei deshalb unwirksam, weil der
Arbeitgeber auch außerhalb des
Anwendungsbereichs des Kündi-
gungsschutzgesetzes bei der Aus-
wahl unter mehreren Beschäftig-
ten ein gewisses Maß an sozialer
Rücksicht beachten müsse. Zudem
habe der Arbeitgeber die Kündi-
gung in seinem Kündigungsschrei-
ben begründen müssen. Der Be-
klagte ist der Auffassung, die von
ihm durchgeführte Interessenab-
wägung sei nicht grob fehlerhaft
gewesen. Die langjährige Beschäf-
tigung des Klägers sei nicht ge-
eignet gewesen, ein Vertrauen in
den Fortbestand des Arbeitsver-
hältnisses zu begründen, da sein
Arbeitsverhältnis mangels An-
wendbarkeit des Kündigungs-
schutzgesetzes gerade keinen
Bestandsschutz genieße. Wegen
fehlender Anwendbarkeit des Kün-
digungsschutzgesetzes habe er
auch die Kündigung nicht begrün-
den müssen.
In den ersten zwei Instanzen
ist die Klage abgewiesen worden.
Das Bundesarbeitsgericht hält die
Revision für begründet und hat
die Sache zur weiteren Sachauf-
klärung an das Landesarbeitsge-
richt zurück verwiesen.
Leitsätze aus dem Urteil
Dem Urteil sind folgende Leit-
sätze zu entnehmen:
1. Der Arbeitgeber im Klein-
betrieb, auf den das Kündigungs-
schutzgesetz keine Anwendung
findet, hat im Fall der Kündigung
ein durch Art. 12 GG gebotenes
Mindestmaß an sozialer Rücksicht-
nahme zu wahren. Eine Kündi-
gung, die dieser Anforderung nicht
entspricht, verstößt gegen Treu
und Glauben (§ 242 BGB) und ist
deshalb unwirksam.
2. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zur
Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs.
1 Satz 2 KSchG ist den Arbeit-
nehmern in Kleinbetrieben das
größere rechtliche Risiko eines
Arbeitsplatzverlustes angesichts
der schwer wiegenden und grund-
rechtlich geschützten Belange der
Arbeitgeber zuzumuten. Der durch
die Generalklauseln vermittelte
Schutz darf nicht dazu führen, dass
dem Kleinunternehmer die im
Kündigungsschutzgesetz vorgege-
benen Maßstäbe der Sozialwidrig-
keit auferlegt würden. Er wirkt
vielmehr umso schwächer, je stär-
ker die mit der Betriebsklausel
geschützten Grundrechtspositio-
nen des Arbeitgebers im Einzel-
fall betroffen sind.
3. Die Sittenwidrigkeit einer
Kündigung kann nicht auf Grün-
de gestützt werden, die im Falle
der Anwendbarkeit des Kündi-
gungsschutzgesetzes zur Sozial-
widrigkeit der Kündigung führen
würden. Der schwere Vorwurf der
Sittenwidrigkeit kann nur in be-
sonders krassen Fällen erhoben
werden, beispielsweise wenn die
Kündigung auf einem verwerfli-
chen Motiv des Kündigenden be-
ruht.
4. Da das Kündigungsschutz-
gesetz die Voraussetzungen und
Wirkungen des Grundsatzes von
Treu und Glauben konkretisiert und
den Bestandsschutz und das In-
teresse des Arbeitnehmers an der
Erhaltung seines Arbeitsplatzes
abschließend regelt, findet die
Vorschrift des § 242 BGB auf Kün-
digungen neben § 1 KSchG nur
in beschränktem Umfang Anwen-
dung. Umstände, die im Rahmen
des § 1 KSchG zu würdigen sind
und die die Kündigung als sozial
ungerechtfertigt erscheinen las-
sen, kommen als Verstöße gegen
Treu und Glauben grundsätzlich
nicht in Betracht.
5. Soweit es beim Kündigungs-
schutz an einer gesetzlichen Kon-
kretisierung, wie durch das Kün-
digungsschutzgesetz, fehlt, muss
der Arbeitgeber eine einseitige,
einzelne arbeitnehmerbelastende
Auswahlentscheidung nach ver-
nünftigen, sachlichen, billiges
Ermessen wahrenden Gesichts-
punkten treffen und bei der An-
wendung der Generalklauseln das
Sozialstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 1 GG und den Gleichheits-
satz des Art. 3 Abs. 1 GG beach-
ten.
6. Außerhalb des Anwendungs-
bereichs des Kündigungsschutz-
gesetzes hat der Arbeitnehmer die
von ihm behaupteten Unwirksam-
keitsgründe darzulegen und zu
beweisen.
Auswirkungen
Das Urteil hat folgende praktische
Auswirkungen:
1. Grundsätze der Kündigung
im Kleinbetrieb
Im Falle einer ordentlichen Kün-
digung hat der Arbeitgeber auch
in einem Kleinbetrieb, in dem in
der Regel 5 oder weniger Arbeit-
nehmer ausschließlich der zu ih-
rer Berufsbildung Beschäftigten
beschäftigt sind, eine Auswahl-
entscheidung zwischen seinen
Arbeitnehmern zu treffen. Zwar
finden die Regelungen des Kün-
digungsschutzgesetzes in Klein-
betrieben keine Anwendung. Der
Arbeitgeber hat sich aber an dem
Grundsatz von Treu und Glauben
zu orientieren. Da das Kündigungs-
schutzgesetz selbst eine konkre-
te Ausformung des Grundsatzes
von Treu und Glauben beinhaltet,
verstößt eine Kündigung in Klein-
betrieben nur dann gegen Treu und
Glauben, wenn die zur Kündigung
führenden Gründe über die von §
1 KSchG erfassten Gründe hinaus-
gehen. Die Grundsätze des Kün-
digungsschutzgesetzes über die
Sozialauswahl sind zwar nicht
entsprechend anwendbar. Der Ar-
beitgeber eines Kleinbetriebs hat
aber nach Auffassung des Bundes-
arbeitsgerichts trotzdem im
Vorfeld einer Kündigung bei der
Auswahl unter mehreren Arbeit-
nehmern ein gewisses Maß an so-
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