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Barcelona ist eine Stadt mit vielen Ge-
sichtern, von der jedes für sich begeis-
tert. Barcelona ist Hafenstadt und hat
dennoch kilometerlange Sandstrände. Sie
ist Olympiastadt und Stadt des Fußballs.
Sie hat eine 2000-jährige Geschichte
und ist dennoch jung und modern. Von
keiner anderen Stadt weltweit befinden
sich so viele Sehenswürdigkeiten auf der
UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Dem-
entsprechend sind viele der Bauwerke
berühmte Wahrzeichen. Architektur und
Bauwerkserhaltung zwischen Tradition
und Moderne – von der Gotik bis zum
Jugendstil – und die Dombauhütte der
Gegenwart, gleichzeitig das Wahrzeichen
der zweitgrößten Metropole Spaniens
– die Sagrada Familia, bestimmten den
Seminarteil der diesjährigen DHBV-
Exkursion.
Auf Gaudis Spuren
Es konnte kein Zufall sein, dass die Studi-
enreise im Monat Juni stattfand. Antoni Gau-
di i Cornet wurde am 25. Juni 1852 geboren
und verstarb am 10. Juni 1926 in Barcelona.
Gaudi ist bekannt für seinen eigenwilligen Stil
von runden, organisch wirkenden Formen und
verhalf damit der katalanischen Architektur zu
weltweitem Ruhm und Ansehen.
Eines seiner frühesten Meisterwerke der
Park Güell
war Ziel der ersten Besichtigung.
Der Park Güell ist nach seinem Auftraggeber,
dem Industriellen Eusebi Güell benannt und
wurde im Zeitraum 1900 bis 1914 erschaffen.
Gaudi plante eine Gartenstadt, umweltgerecht
und kostengünstig, mit über 60 Villen auf ei-
ner Fläche von ca. 20 Hektar auf dem Berg
Muntanya Pelada. Die Park-Wohn-Landschaft
sollte durch den Vorverkauf der Villen finan-
ziert werden. Augenscheinlich scheiterte das
Vorhaben, denn es wurden nur zwei Parzellen
verkauft. Die geplante Parkanlage konnte we-
gen fehlender Mittel nicht fertig gestellt wer-
den. Lediglich drei Häuser wurden gebaut:
das Wohnhaus der Familie Güell, das heute
als Schule genutzt wird, das Wohnhaus Gaudis,
in dem er von 1906 bis zu seinem Tode lebte,
ist heute ein Museum und das Wohnhaus ei-
nes mit Gaudi befreundeten Architekten. Seit
1984 gehört der Park Güell wie auch die wei-
teren Werke des Baumeisters der Moderne zum
UNESCO-Weltkulturerbe.
Der Name Gaudi ist Programm im Park Gü-
ell. Das Wort
Gaudi-r-
bedeutet in der katala-
nischen Landessprache:
Natur genießen.
Die
typischen Merkmale seiner der Natur verwand-
ten Baukunst mit unregelmäßigen Gebäude-
grundrissen sind die geschwungenen Linien
mit schräg gemauerten Stützen und der Natur
nachempfundenen weichen Formen mit Motiven
aus Flora und Fauna. Diese fügen sich perfekt
in die Natur des Parkes Güell ein. Als „Kapel-
le der Natur“ beschrieb Seminarleiter Miguel
Gaudis Werke.
„Die Stadt sollte den Menschen
zurück zur Natur bringen und ihm eine gesunde
Umwelt schaffen, um der ungesunden Industrie-
stadt zu entfliehen.“
1)
So z. B. ein Säulengang aus örtlichen Na-
tursteinen, der in seinem sandsteinfarbigen
Kontrast zu den ihn umgebenden farbigen
Bauwerken den Eindruck absoluter Natürlich-
keit vermittelt und gleichzeitig die Phanta-
sie anregt. Ist es nur ein überdachter Gang
mit schräg geneigten Säulen? Ein Tunnel aus
Bruchsteinen? Ein dem Meer nachempfundenes
Wellenbrechen, in dessen Tunnel ein Wellenrei-
ter surfen könnte? Oder sind es lediglich die
Stützmauern der oberen Terrassen?
Gaudi sei eben ein Visionär seiner Zeit ge-
wesen, denn diese Art des ökologischen Ver-
ständnisses sei eigentlich erst in den 70er Jah-
ren aufgekommen, mutmaßte Miguel.
Ein anderes Beispiel: ein mit Mosaiken
bepanzerter Salamander, der als Überlauf ei-
ner Wasserzisterne genutzt wird, bewacht die
Freitreppe zur zentralen Stätte der Begegnung
im Park, dem Placa Circular. Dieser Platz als
Mittelpunkt des Parks mit ca. 3000 m² war als
Terrassenplatz für Gemeindeversammlungen und
kulturelle Veranstaltungen geplant. Diese Frei-
fläche, funktional der Deckel der Zisterne, wird
kurvenreich mit einer ergometrisch geformten
Schlangenbank umfasst. Die Bekleidung der
sich windenden Bank wurde mit kunstvollen
Mosaiken dekoriert. Diese entstammen aus dem
Abfall der Keramikfabriken rund um Barcelona.
Auch hier hat man sofort den Eindruck, Gaudi
sei seiner Zeit weit voraus gewesen und habe
Baustoffe recycelt.
So auch bei einem weiterem Teil des Plat-
zes, dem „Saal der hundert Säulen“, der als ab-
geschattete Markthalle genutzt werden sollte.
Die dekorativen Deckenverzierungen stellen
ebenfalls die farbenfrohe „Arme Kunst“ aus
Fliesen- und Keramikmosaik dar. Die umfang-
reichen Sanierungsarbeiten der Mosaike, mit
ihren maritimen Symbolen, sowie die Restau-
rierung der farbenfrohen abstrakten Formen
Kandinsky wurden uns durch den beauftragten
Restaurationsbetrieb gezeigt.
Die Stadterweiterung
Barcelona rühmt sich, die zahlenmäßig
größte Ansammlung von Jugendstilgebäuden
in ganz Europa zu besitzen. Der Grund ist fol-
gender: Nach dem Abriss der Stadtmauer Mit-
te des 18. Jahrhunderts und der Erlaubnis in
der bis dato baufreien Militärzone bauen zu
dürfen, wurde das am meist besuchte Viertel
Barcelonas geschaffen – die Eixample (kata-
lanisch: „Erweiterung“). Die breiten, viel be-
fahrenen Straßen verlaufen parallel wie ein
Schachbrettmuster. Die genormte Häuserblock-
größe beträgt 114×114 Meter und ist an den
Ecken jeder Kreuzung ausgekehlt. Die Kreuzun-
gen zwischen den quadratischen Häuserblocks
mit ihren abgeschrägten Ecken (katalanisch:
„Xamfrans“) bilden Plätze und kleine Parks,
die als „grüne Lunge“, so Seminarleiter Migu-
el, zur Erbauung der Bewohner beitragen. Die-
se Weitsichtigkeit der damaligen Stadtplaner
kanalisiert heute förmlich den Verkehr durch
die fast 20 Meter breiten Straßen der 1,6 Mio.
Einwohnermetropole.
Der Reichtum der katalanischen Großin-
dustriellen im 19. Jahrhundert zog die fort-
schrittlichsten Architekten an, die geradezu
ein Museum des katalanischen Modernisme
(Jugendstil) schufen. Auf den Spuren Gaudis
besichtigten wir das
Casa Mila,
das von Gaudi
1910 fertig gestellt wurde. Das Gebäude wird
auch wegen seiner Fassade „la Pedrera“ (kata-
lanisch: „Steinbruch“) genannt. Die Konstruk-
tion ermöglicht eine natürliche Belüftung des
Gebäudes und bedarf keiner Klimaanlage. Die
Wohnungen lassen sich durch Stellwände indi-
viduell ändern. Die gewellte Fassadenform und
die schmiedeeisernen Balkongitter des Casa Mila
sind bemerkenswert. Die dekorativ geschwun-
genen Linien mit Ornamenten und die Aufgabe
von Symmetrien ist Ausdruck des spanischen
Jugendstils. Die reichlich verzierten Balkone
dienten dem Barceloner Großbürgertum zur
Selbstdarstellung. Gaudi war zudem ein großar-
tiger Kunsthandwerker. In Zusammenarbeit mit
den Künstlern seiner Epoche entwarf er Balkon-
gitter, Möbel, Keramiken, Skulpturen, Mosaike
und Buntglasfenster. Seine Formen waren da-
bei immer organisch, geschwungen und in die
Baukörper integriert. Ein anderes Beispiel sei-
ner Kunst, das
Casa Batllo,
wirkt hingegen, als
sei das Haus aus Knochen gebaut. Die Balkone
erscheinen als große Unterkiefer, die Fenster
zieren Säulen, die wie Gebeine aussehen. Gau-
di hat sich auch hier von der Natur inspirieren
lassen. Die Außenhaut des Gebäudes erscheint
durch seine Farben wie ein Korallenriff und die
Wellen in der Fassade erinnern an das Meer.
Das Dach hingegen zeigt den Rücken eines
Drachen. So sind im Casa Batllo verschiedene
Motive der Legende des Drachentöters, dem
„Heiligen Georg“, verarbeitet.
Barcelona und seine Wahrzeichen
Das bekannteste Gebäude Barcelonas,
gleichzeitig Wahrzeichen der Stadt, ist die
Sa-
grada Familia,
das unvollendete Meisterwerk
Antoni Gaudis. In dieses Werk steckte Gaudi
all seine kreative Energie und Besessenheit.
Thema
DHBV-Exkursion 2009
Barcelona
Es gibt nicht ein Barcelona – es gibt viele Barcelonas
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