Schützen & Erhalten - page 22

Fachbereiche
Sachverständige
In der Regel haben vom Gericht ernannte
Sachverständige weniger mit diesem Pa-
ragrafen zu tun. Kommen sie doch einmal
mit ihm näher in Kontakt, kann es sehr
unangenehm werden.
§ 839a BGB
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sach-
verständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein
unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des
Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbetei-
ligten durch eine gerichtliche Entscheidung ent-
steht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzu-
wenden.“
㤠839 BGB Haftung bei Amtspflichtverletzung
[...]
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn
der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unter-
lassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines
Rechtsmittels abzuwenden.“
„Vorsätzlich“, das ist eindeutig, aber es
stellt sich die Frage, was ist „grob fahrlässig“,
oder besser, was verstehen Gerichte heute unter
„grob fahrlässig“?
Das LG Mühlhausen hat hierzu in einer Bau-
sache eine Entscheidung gegen einen gericht-
lich beauftragten Sachverständigen getroffen.
Dieses Urteil wurde vom OLG in Jena mit Urteil
vom 07.11.2012 (Az.: 2 U 135/12) bestätigt.
Hierzu gibt es einen sehr interessanten Ar-
tikel in der Zeitschrift „IfS-Informationen“, Aus-
gabe 2/13 auf den Seiten 6–11,
„Grobe Fahrläs-
sigkeit wegen Nichtbeachtung der DIN-Vorgaben“.
Zum Sachverhalt:
Das Gericht hat einen Sachverständigen be-
auftragt, im Rahmen eines selbstständigen Be-
weisverfahrens die Frage zu beantworten, wa-
rum es auf den Fußböden von drei neu errich-
teten Garagen zur Bildung von Pfützen kam.
Der Sachverständige stellte in seinem Gutach-
ten und einem Ergänzungsgutachten fest, dass
Werkmängel bei der Estrichverlegung in Form
von Toleranzüberschreitungen die Ursache für
die Pfützenbildungen sei. Aufgrund der Aussagen
in den Gutachten wurde der Estrichverleger zur
Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 11.000
zur Mängelbeseitigung verurteilt.
„Seine Beru-
fung wurde trotz Vorlage eines anders lautenden
Privatgutachtens“,
in dem festgestellt wurde,
dass dem Gerichtssachverständigen erhebliche
methodische Fehler unterlaufen sind
„und der
mündlichen Vernehmung des Gerichtsgutachters
zurückgewiesen“
(„IfS-Informationen“, Ausgabe
2/13). Die Nichtberücksichtigung des Privatgut-
achtens wurde durch das Gericht mit einem zu
späten Vorbringen begründet.
Der Estrichverleger erhob im Nachgang Scha-
densersatzklage gegen den Gerichtssachverstän-
digen auf Grundlage des § 839a BGB und das
mit Erfolg. In diesem Klageprozess hat sich der
Estrichverleger auf das o. g. Privatgutachten ge-
stützt, in dem nachgewiesen wurde, dass der Ge-
richtssachverständige die von ihm aufgezeigten
Toleranzüberschreitungen auf Grundlage eines
von ihm falsch angesetzten Metermesspunkt-
abstandes ermittelt hat. Die so ermittelten To-
leranzüberschreitungen haben tatsächlich gar
nicht bzw. nur in sehr geringem Maße vorgelegen.
„Das Landgericht Mühlhausen hat der Kla-
ge größtenteils stattgegeben. Es hat die Ansicht
vertreten, der Beklagte habe grob fahrlässig im
Sinne des § 839a BGB ein fehlerhaftes Sachver-
ständigengutachten nebst Ergänzungsgutachten
im selbstständigen Beweisverfahren 5 OH 22/02
vor dem Landgericht Mühlhausen abgegeben“
(„IfS-Informationen“, Ausgabe 2/13).
Das Gericht begründet seine Entscheidung
in seinem Urteil wie folgt:
„Der Beklagte habe
grob fahrlässig gehandelt, weil er zum einen spä-
tere Verformungen nicht berücksichtigt und zum
anderen einen unzutreffenden Maßstab zur Er-
mittlung der zulässigen Unebenheitstoleranzen
angenommen habe.“
In der weiteren Begründung des Urteils heißt
es:
„Bei Zugrundelegung des korrekten Bezugsmaß-
stabes seien nur wenige, auf einer Linie liegende
Toleranzüberschreitungen in Garage II festzustel-
len. Garage I weise lediglich eine Toleranzüber-
schreitung auf, die 1 mm betrage. In Garage III
lägen nur zwei Toleranzüberschreitungen vor, wo-
bei eine 1 mm und eine 2 mm betrage. Die vier
Unebenheiten in Garage I seien zwar als Mangel
zu bewerten, der zu beseitigen sei, hierdurch ent-
stünden aber lediglich Nachbesserungskosten in
Höhe von 500
e
netto. Selbst bei einer Beseiti-
gung sei aber keine Pfützenfreiheit zu erreichen.“
Das Gericht bezieht sich dabei auf das von
Klägerseite (Estrichleger) vorgebrachte Privat-
gutachten, in dem u. a. ausgeführt wird, dass
der beklagte Sachverständige entgegen der Vor-
gaben
„der DIN 18201 nicht geprüft habe, ob
und in welchem Umfang es fünf Jahre nach Fer-
tigstellung zu nutzungsbedingten Verformungen
gekommen sei“.
Weiter wird in dem Privatgut-
achten die Messmethodik des Gerichtssachver-
ständigen als falsch eingestuft: „Diese sei „ohne
das erforderliche Stichmaß-Verständnis sowohl
in den Flächen als auch an den Rändern erfolgt“
(S. 10). Der Beklagte habe in seinem Gutachten
vom 26.11.2002 die „gemäß DIN 18202 heranzu-
ziehenden Ebenheitstoleranzen »falsch« ausgelegt
(S. 6). Richtigerweise müssten „die Bewertungen
des aufgenommenen Nivellement-Rasters auf der
Festlegung von Stichmaßen als Grenzwerte in Mil-
limeter bei unterschiedlichen Messpunktabständen
basieren“ (S. 6). Bei korrekter Anwendung des
Messpunktrasters hätte der Beklagte in Anwen-
dung der DIN 18202 bezüglich der drei streitge-
genständlichen Garagen lediglich folgende Tole-
ranzabweichungen ermitteln können: „Garage 1:
3 Abweichungsstellen (bis maximal 4mm), Ga-
rage 2: Keine Abweichungsstelle, Garage 3: Keine
Abweichungsstelle.“
Das OLG Jena ist den Ausführungen des
LG Mühlhausen gefolgt. In seiner Begründung
schreibt es u.a.:
„4. Der Beklagte hat auch grob
fahrlässig gehandelt. Hierfür erforderlich ist eine
Pflichtverletzung, die nicht nur in objektiver,
sondern auch in subjektiver Hinsicht besonders
schwer wiegt. Maßstab ist das für einen ordent-
lichen Sachverständigen im jeweiligen Fachgebiet
maßgebende Pflichtenprogramm (Wagner/Thole,
FPR 2003, 521, 522).
(...) Es muss von jedem Gerichtssachverstän-
digen, der von einem Gericht mit der Prüfung
beauftragt wird, ob ein Estrich ordnungsgemäß
verlegt worden ist, erwartet werden, dass er die
einschlägigen DIN-Vorgaben kennt und die erfor-
derlichen Messungen fehlerfrei vornimmt.
(...) Die korrekte Vornahme von Toleranz-
messungen stellt das Grundhandwerkszeug eines
Sachverständigen dar. Vorliegend hat der Beklagte
nicht aufgrund eines Versehens einen Messfehler
vorgenommen, sondern methodisch falsch gear-
beitet. Dass der Beklagte dasjenige außer Acht
gelassen hat, was jedem Sachverständigen in der
betreffenden Situation hätte einleuchten müs-
sen, wird auch dadurch dokumentiert, dass der
Beklagte unberücksichtigt ließ, dass zwischen der
Fertigstellung des Estrichs und der Begutachtung
bereits einige Jahre vergangen waren, von daher
die Frage im Raum stand, ob Verformungen nicht
nutzungsbedingt waren. Es ist auch nicht nachvoll-
ziehbar, weshalb der Beklagte weder im selbstän-
digen Beweisverfahren noch bei seiner Anhörung
im Termin vom 12.04.2005 von sich aus darauf
hingewiesen hat, dass die Pfützenbildungen auch
dann verbleiben würden, wenn die Unebenheiten
im Estrich beseitigt wären, weil der Unterbau des
Fußbodens – vom Kläger nicht zu verantworten –
waagerecht ausgeführt war.“
In Zusammenhang mit dem zuvor dargestell-
ten Fall wird an dieser Stelle auf die vom IfS he-
rausgegebene Broschüre „Die Haftung des Sach-
verständigen für fehlerhafte Gutachten“ (ISBN
3-928 528-16-5), 1. Auflage 2002, verwiesen,
die Teil der aktiv genutzten Literatur von Sach-
verständigen sein sollte.
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Schützen & Erhalten · Juni 2013 · Seite 22
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