Schützen & Erhalten - page 3

Editorial
Wir haben die Schnauze voll
Das erste, was diese Firma
zu ihren Kunden sagt, ist,
dass sie die Schnauze voll
hat. Noch bevor sich je-
mand blicken lässt.
Der Chef heißt Thomas Berger. So
wie seine Firma in Kamp-Lintfort
am Niederrhein. Glas-Licht-Me-
tall. Berger fertigt Leuchtrekla-
men, Glasfassaden, Messestände,
Kneipentresen, Wintergärten und
Türen. Der Mann kann was. Er hat
65 Mitarbeiter. Seit 101 Jahren
ist sein Betrieb auf dem Markt.
Doch nun scheint der Mann ver-
rückt geworden zu sein. Wie will
er weiterhin Geschäfte machen,
wenn er seine Kunden vergrault?
Doch Berger ist wütend und
Wut macht erfinderisch. So hat
er vom Niederrhein aus eine klei-
ne Revolution angezettelt. Zumin-
dest für den Handwerkermarkt.
Berger will nicht mehr beschei-
ßen. Und er will nicht mehr be-
schissen werden. Das sagt er sei-
nen Kunden ins Gesicht. Er, 44
Jahre alt, hat genug vom übli-
chen Geschäftsgebaren nach dem
Motto „Geiz ist geil – billigbil-
lig“.
„Wir haben uns lange auf den
verbindlichen Handschlag zwi-
schen Kunden und Handwerksmei-
ster verlassen können“, sagt Ber-
ger, „das gibt’s seit gut drei
Jahren nicht mehr. Normal sind
heute 60-seitige Verträge bei
einem Auftragsvolumen von ge-
rade mal 500 Euro, ungerecht-
fertigte Reklamationen, Rech-
nungskürzungen aus Willkür,
unzumutbarer Zahlungsverzug,
Zahlungsverweigerung.“
Die schlechte Zahlungsmoral
ist in Deutschland der Grund für
80% aller Handwerkerpleiten.
Schuldenmachen gilt inzwischen
bei Auftraggebern als strategi-
sche Aufgabe. Jeder dritte Auf-
trag wird nicht mehr wie verein-
bart bezahlt.
Berger hat Außenstände, die
über dem liegen, was er in ei-
nem Monat umsetzt. „Ich habe
keinen Spaß mehr an der Arbeit“,
meint der studierte Physiker. „70
Prozent der Zeit geht für Sachen
drauf, die mit meiner Arbeit
nichts zu tun haben.“ Streit mit
Rechtsanwälten, Mahnschreiben,
Nachfragen, Telefonate mit säu-
migen Kunden, Diskussionen mit
Bauleitern. „Ich werde langsam
krank“, so Berger.
Doch während andere Hand-
werker und Mittelständler klagen
und trotzdem mitspielen, aus
Angst Kunden zu vergraulen, Auf-
träge zu verlieren und schließ-
lich Pleite zu gehen, macht Berger
nicht mehr mit. „Wenn wir jetzt
nichts tun, dann sterben wir eben
auf Raten.“ Ende April diesen Jah-
res hat er deshalb die Aktion
„Schnauze voll“ gestartet, hat
gleichgesinnte Unternehmer ge-
funden und dazu Jürgen Vogdt,
Philosoph und Unternehmensbe-
rater, ein Mann mit Kontakten
und Ideen. Auf ihren Schreibti-
schen steht nunmehr eine Faust
aus Bronze, als Erinnerung dar-
an, dass sie nicht mehr klein bei-
geben wollen. An den Revers ihrer
Jacketts steckt ebenfalls eine
kleine Faust im Knopfloch. Da-
mit jeder sehen kann, wie sie
drauf sind. Dass sie nur arbei-
ten wollen, wenn man einander
vertraut, wenn Fairness herrscht.
Ziel der Unternehmer ist es,
keine faulen Kompromisse mehr
zu akzeptieren. Jeder von ihnen
weiß, dass dies gefährlich ist. Wer
den Bogen überspannt, ist raus
aus dem Rennen um den Auftrag,
vielleicht auch beim nächsten
Mal, vielleicht auch für immer.
Doch die Neinsager vom Nie-
derrhein haben Erfolg mit ihrer
Strategie. Ihr Motto: Nur wer es
ernst meint wird auch ernst ge-
nommen. Das hat auch Gerd Pou-
sen erfahren. Pousen, 42, ist bei
Berger für den Verkauf zustän-
dig. Er kennt das erniedrigende
Gefühl im Preis gedrückt zu wer-
den und später für Mängel zu
haften, die keinen Sinn machen
sich vor Gericht auf einen
schlechten Vergleich einigen zu
müssen, obwohl man zwar Recht
hat, aber nicht die Zeit, um das
Geld bis in die letzte Instanz ein-
zuklagen. Pousen traut sich in-
zwischen auf Augenhöhe zu ver-
handeln. Geht der Auftrag ver-
loren, könne man eben nichts
machen, sagt sein Chef. Zumin-
dest halst man sich nicht noch
mehr Ärger auf.
Auch Günter Hövelmann hat
sich getraut. Als Chef einer mit-
telständischen Druckerei hat er
Aufträge abgelehnt, seit Jahren
das erste Mal. „Früher haben wir
immer mitgeboten im Abwärts-
karussel“, sagt er, „aber das wol-
len wir ja nicht mehr.“ Angst
hatte er vor der Konfrontation
und fand Hilfe bei Berater Jür-
gen Vogdt. Sie übten das Ge-
spräch am Telefon. Am nächsten
Tag sprach Hövelmann mit sei-
nem Absprungkandidaten und
gewann ihn zurück.
Die Faust macht am Nieder-
rhein die Runde. Andere Hand-
werker wollen mitmachen bei
„Schnauze voll“. Doch einige sind
überrascht, dass sich die kleine
Revolution nicht nur nach außen
richtet, gegen die bösen Auftrag-
geber, denen mal ordentlich der
Kopf gewaschen werden muß.
„Neulich rief eine Baufirma bei
mir an und wollte die Faust kau-
fen“, wundert sich Jürgen Vogdt,
„aber die gibt’s nur gegen Lei-
stung.“ Denn wer fair behandelt
werden will, muss ebenso fair
handeln. „Die Handwerker sind
zur Hälfte selbst schuld, dass die
Sitten so verlottern“, sagt Vogdt,
„die waren ja lange Zeit so was
von satt.“
Was man eben so kennt. Teu-
er, schlechte Qualität, Dreck, und
Rücksichtslosigkeit. Unangemel-
det besonders teures Material ver-
brauchen und dann die Rechnung
präsentieren. Sich stur stellen
wenn es Reklamationen gibt. Un-
pünktlichkeit „Für Mittwoch zu-
sagen, aber den übernächsten
Mittwoch meinen“, sagt Thomas
Berger und winkt ab, er kennt das
aus eigener Erfahrung. Günter Hö-
velmann verleugnet die beque-
men alten Zeiten ebensowenig:
„Was haben wir vor Jahren noch
aus dem vollen geschöpft. Wenn
mal ein Kunde absprang, hat uns
das nicht groß gekümmert. Die
Bücher waren ja voll.“ Die Zei-
ten sind vorbei und die Stim-
mung ist verdorben.
Die Beschisskette zieht sich
vom Auftraggeber über Projekt-
firmen wie Berger bis hin zu Zu-
lieferern von Schrauben und Glas.
Keiner traut keinem. „Jeder ver-
sucht jeden zu betuppen“, gibt
Gerd Pousen zu. Wer abgezogen
wird, muss andere abziehen, um
an sein Geld zu kommen. Drük-
ken, ausquetschen, ausnutzen.
Auch wir haben unsere Lieferan-
ten getriezt“, gesteht Thomas
Berger, „für jeden Quark fünf An-
gebote reinholen und dann Stress
machen.“ Einmal hat er seine
Monteure durch einen Subunter-
nehmer ersetzt. Der war nur halb
so teuer wie die eigenen Leute.
„Ein Sklavenhandel war das“, sagt
Berger jetzt, „ich will gar nicht
mehr daran denken.
Berger will nicht mehr mit-
spielen. Seine Kunden können im
Internet jederzeit einen erteil-
ten Auftrag und die auflaufen-
den Kosten kontrollieren. Er wird
seine sieben Montagetrupps nicht
in die Scheinselbständigkeit aus-
lagern, nicht in Polen produzie-
ren lassen. Er hat noch nie je-
mand gefeuert, und hat es auch
nicht vor. Er hat seinen Monteuren
gesagt, sie sollen sich wehren,
wenn ihnen der Chef nicht ge-
nug Zeit gibt für ihre Arbeit.
„Wir wollen zurück zu den
alten Werten“, sagen Berger und
die anderen Faust-Kämpfer.
Gekürzt aus Kölner Stadt-
Anzeiger, 3./4. Juli 2004, Moder-
ne Zeiten S. 3: „Wir können auch
anders“.
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Ihr
Friedel Remes
Schützen & Erhalten · September 2004 · Seite 3
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