Schützen & Erhalten - page 19

Für die Frage, ob der
Schwellenwert zur Anwend-
barkeit des Kündigungs-
schutzgesetzes erreicht ist,
bedarf es eines Rückblicks
auf die bisherige personel-
le Stärke des Betriebs und
einer Einschätzung seiner
künftigen Entwicklung.
Findet der besondere Kündigungs-
schutz auf ein Arbeitsverhältnis
Anwendung, bedarf eine wirksame
Kündigung eines sachlichen Kün-
digungsgrundes. Nach dem Kün-
digungsschutzgesetz in der bis
zum 31. Dezember 2003 gelten-
den Fassung fand der besondere
Kündigungsschutz keine Anwen-
dung auf Betriebe, in denen in
der Regel fünf oder weniger Ar-
beitnehmer ausschließlich der zu
ihrer Berufsbildung Beschäftig-
ten beschäftigt werden. Das Bun-
desarbeitsgericht hat sich in ei-
ner Entscheidung vom Februar
dieses Jahres sehr ausführlich zur
Verteilung der Darlegungs- und
Beweislast zu der Frage geäußert,
ob der besondere Kündigungs-
schutz Anwendung findet oder
nicht.
Dem Urteil lag folgender
Sach-
verhalt
zugrunde:
Die Parteien haben über die
Wirksamkeit einer ordentlichen
Kündigung gestritten. Der Betrieb
der Beklagten für Garten-, Land-
schafts- und Sportplatzbau be-
stand seit März 2001. Der Kläger
war dort seit Oktober 2001 be-
schäftigt. Die Anzahl der beschäf-
tigten Vollzeitkräfte schwankte
zwischen zwei und sechs Arbeit-
nehmern. Ab dem 15. April 2002
wurden insgesamt sechs Vollzeit-
kräfte beschäftigt. Daneben be-
schäftigte die Beklagte regelmä-
ßig Auszubildende und Praktikan-
ten. Am 3. Juni 2002 ging dem
Kläger die Kündigung seines Ar-
beitsverhältnisses zum 15. Juni
2002 zu. Der Kläger erhob Kün-
digungsschutzklage und vertrat die
Auffassung, dass das Kündigungs-
schutzgesetz Anwendung finde
und ein Kündigungsgrund nicht
vorliege. Die Kündigung sei da-
her sozial ungerechtfertigt und
unwirksam.
Das Arbeitsgericht hat die
Klage abgewiesen. Landesarbeits-
gericht und Bundesarbeitsgericht
haben der Klage dagegen statt-
gegeben.
Dem Urteil sind folgende
Leit-
sätze
zu entnehmen:
1. Zur Feststellung der Zahl der
in der Regel beschäftigten
Arbeitnehmer bedarf es
grundsätzlich eines Rück-
blicks auf die bisherige per-
sonelle Stärke des Betriebs
und einer Einschätzung sei-
ner zukünftigen Entwicklung.
Zeiten außergewöhnlich ho-
hen oder niedrigen Geschäfts-
anfalls sind nicht zu berück-
sichten.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für
die Feststellung der Zahl der
in der Regel im Betrieb Be-
schäftigten sind die Verhält-
nisse im Zeitpunkt des Zu-
gangs der Kündigung, nicht
hingegen die im Zeitpunkt der
Beendigung des Arbeitsver-
hältnisses an.
3. Der Arbeitnehmer genügt sei-
ner Darlegungslast, wenn er
die für eine entsprechende
Arbeitnehmerzahl sprechen-
den Tatsachen und ihm be-
kannten äußeren Umstände
schlüssig darlegt. Er muss
regelmäßig zumindest – ggf.
durch konkrete Beschreibung
der Personen – angeben,
welche mehr als fünf Arbeit-
nehmer zum Kündigungszeit-
punkt im Betrieb beschäftigt
sind.
4. Der sachnähere Arbeitgeber
muss dann die Tatsachen und
Umstände substantiiert dar-
legen, aus denen sich erge-
ben soll, dass das Ergebnis
der Darlegung des Arbeitneh-
mers zufällig ist und regel-
mäßig – bezogen auf die Ver-
gangenheit und vor allem für
die Zukunft – weniger als fünf
Beschäftigte im Betrieb tä-
tig waren bzw. wieder sein
werden.
Das Urteil hat folgende
prak-
tische Auswirkungen:
Nach der bisherigen Recht-
sprechung des 2. Senats des Bun-
desarbeitsgerichts trägt der Ar-
beitnehmer die Darlegungs- und
Beweislast für das Vorliegen der
betrieblichen Voraussetzungen für
die Geltung des Kündigungs-
schutzgesetzes. Die Vorschrift ist
durch das Arbeitsmarktreformge-
setz vom 24. Dezember 2003 für
Arbeitnehmer geändert worden,
deren Arbeitsverhältnis nach dem
31. Dezember 2003 begonnen
hat. Ob die Verteilung der Dar-
legungs- und Beweislast aufgrund
dieser Gesetzesänderung für diese
Arbeitnehmer anders zu beurtei-
len ist, hat das Gericht in sei-
ner Entscheidung ausdrücklich
offen gelassen. Für Arbeitsver-
hältnisse, die vor dem 31. De-
zember 2003 begründet wurden,
finde jedenfalls nach wie vor die
folgende abgestufte Darlegungs-
und Beweislast Anwendung:
1. Darlegung durch den
Arbeitnehmer
Das Bundesarbeitsgericht
führt aus, dass der Arbeitnehmer
auf einer ersten Stufe die für eine
entsprechende Arbeitnehmerzahl
sprechenden Tatsachen und ihm
bekannten äußeren Umstände
schlüssig darzulegen habe. Das
bedeute im Einzelnen, dass er
regelmäßig möglichst die Perso-
nen konkret beschreiben müsse,
die zum Kündigungszeitpunkt
über fünf Arbeitnehmer hinaus
im Betrieb beschäftigt seien.
Maßgeblich sei dafür der Zeit-
punkt des Zugangs der Kündi-
gung, nicht hingegen der Zeit-
punkt der Beendigung des Ar-
beitsverhältnisses. Weder
Auszubildende noch Praktikanten
seien mitzuzählen.
Das Bundesarbeitsgericht
weist darauf hin, dass an die
Darlegungslast des Arbeitnehmers
keine unzumutbar strengen An-
forderungen gestellt werden dürf-
ten. Das folge insbesondere aus
Artikel 12 Grundgesetz, der die
Berufsfreiheit regele und dem im
Verfahrensrecht eine hohe Bedeu-
tung zukomme.
2. Bestreiten durch
den Arbeitgeber
Sie unstreitig, dass im Kün-
digungszeitpunkt mehr als fünf
Arbeitnehmer im Betrieb tätig
waren, sei es auf einer zweiten
Stufe Aufgabe des sachnäheren
Arbeitgebers im Einzelnen zu
erklären, welche rechtserhebli-
chen Umstände gegen die sub-
stantiierten Darlegungen des
Arbeitnehmers sprechen.
Dafür müsse er Tatsachen und
Umstände substantiiert darlegen,
aus denen sich ergeben soll, dass
dieses Ergebnis von mehr als fünf
Arbeitnehmern im Kündigungs-
zeitpunkt zufällig sei und regel-
mäßig weniger Beschäftigte im
Betrieb tätig gewesen seien oder
wieder sein würden. Das Bundes-
arbeitsgericht erklärt in seinem
Urteil, dass dies insbesondere
deshalb Aufgabe des Arbeitgebers
sei, da der Arbeitnehmer häufig
nicht über die zurückliegenden
Zeiträume – oft aufgrund einer
nur kurzen Beschäftigungsdauer
– aus eigener Kenntnis vortra-
gen könne. Genauso wenig habe
er in der Regel Informationen
über die zukünftige, vom Arbeit-
geber beabsichtigte Beschäfti-
gungsentwicklung. Zu einem ent-
sprechenden Sachvortrag des
Arbeitgebers gehöre daher ins-
besondere eine Darstellung über
das – zukünftige – betriebliche
Beschäftigungskonzept. Aufgrund
seiner Sachnähe könne der Ar-
beitgeber ohne Weiteres substan-
tiierte Angaben zum Umfang und
zur Struktur der Mitarbeiterschaft
und ihrer arbeitsvertraglichen
Vereinbarungen machen.
ARBEITS- UND SOZIALRECHT
Kündigungsschutz
Geltung des Kündigungsschutzgesetzes – Urteil des Bundesarbeitsgerichts - 2 AZR 373/03 - vom 24. 2. 2005
Schützen & Erhalten · September 2005 · Seite 19
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