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Schützen & Erhalten · September 2003 · Seite 18
ARBEITS- UND SOZIALRECHT
Urteil des Bundesarbeitsgerichts – 6 AZR 539/01 – vom 5. Dezember 2002
Berufsbildung – Rückzahlung von
Fortbildungskosten
Eine Fortbildung, die
nicht länger als einen Mo-
nat dauert, rechtfertigt
regelmäßig nur eine Bin-
dungsdauer des Arbeit-
nehmers bis zu sechs Mo-
naten, in denen er dem
Arbeitgeber für den Fall,
dass er das Arbeitsverhäl-
tnis beendet, dessen Auf-
wendungen zu erstatten
hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat
in seiner Entscheidung vom
5. Dezember 2002 bestätigt,
dass einzelvertragliche Rück-
zahlungsabreden grundsätzlich
zulässig sind. Es hat jedoch dar-
auf hingewiesen, dass solche
Abreden im Hinblick auf das
Interesse des Arbeitnehmers,
seinen Arbeitsplatz ohne Be-
lastung mit Kosten frei wählen
zu können, diesen nicht unver-
hältnismäßig lange an den Be-
trieb binden dürfen, der ihm die
Fortbildung finanziert hat. Maß-
geblich für die zulässige Bin-
dungsdauer sei in erster Linie
die Qualität der erworbenen
Qualifikation für den Arbeit-
nehmer. Starkes Indiz dafür sei
die Dauer der Fortbildung.
Dem Urteil lag folgender Sach-
verhalt zugrunde:
Die Parteien haben über die
Erstattung von Fortbildungs-
kosten gestritten. Die Klägerin
montiert und wartet Energiean-
lagen und Dieselmotoren. Der
Beklagte hat in der Zeit vom
24. Januar bis 4. Februar 2000
an einem Lehrgang über die
Wartung eines bestimmten
Dieselmotors teilgenommen. Die
Parteien hatten anlässlich der
Fortbildung im Vorfeld schrift-
lich vereinbart, dass der Arbeit-
nehmer die gesamten Lehr-
gangskosten zurückzuerstatten
habe, falls er innerhalb von drei
Jahren und aus eigenen Grün-
den das Unternehmen verlassen
sollten. Der Beklagte kündigte
das Arbeitsverhältnis zum
31. August 2000. Die Klägerin
machte daraufhin die Erstattung
von Fortbildungskosten in Höhe
von insgesamt über 7.000 DM
geltend, bestehend aus Lehr-
gangs-, Hotel- und Reisekosten
und fortgezahltem Bruttolohn.
Die Klage blieb in allen In-
stanzen erfolglos.
Dem Urteil sind folgende Leit-
sätze zu entnehmen:
1. Einzelvertragliche Abreden,
wonach vom Arbeitgeber
aufgewendete Fortbildungs-
kosten vom Arbeitnehmer zu
erstatten sind, wenn dieser
das Arbeitsverhältnis vor
Ablauf einer bestimmten
Frist (Bindungsdauer) been-
det, sind grundsätzlich zu-
lässig.
2. Die Bindungsdauer muss
nach einer Abwägung der
Interessen von Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber in
jedem Einzelfall verhältnis-
mäßig sein.
3. Die Lehrgangskosten können
ein Indiz für die Qualität der
dem Arbeitnehmer durch die
Teilnahme an der Fortbil-
dung erwachsenen berufli-
chen Vorteile sein.
4. Eine Kostenbeteiligung des
Arbeitnehmers scheidet in
der Regel aus, wenn die
Fortbildung nur innerbe-
trieblich von Nutzen ist oder
lediglich der Auffrischung
vorhandener Kenntnisse oder
der Anpassung dieser Kennt-
nisse an vom Arbeitgeber
veranlasste neue betriebli-
che Gegebenheiten dient.
5. Bei einer Fortbildungsdauer
von nicht mehr als zwei Mo-
naten ohne Verpflichtung zur
Arbeitsleistung kann im Re-
gelfall höchstens eine ein-
jährige Bindung vereinbart
werden.
6. Ein Fortbildung, die nicht
länger als einen Monat
dauert, rechtfertigt regel-
mäßig nur eine Bindung des
Arbeitnehmers bis zu sechs
Monaten.
7. Ist einzelvertraglich eine
unzulässig lange Bindung
des Arbeitnehmers verein-
bart, ist die Rückzahlungs-
klausel in entsprechender
Anwendung von § 139 BGB
aufrechtzuerhalten und die
Bindungsfrist auf das zuläs-
sige Maß zurückzuführen.
Das Urteil hat folgende prak-
tische Auswirkungen:
Nimmt ein Arbeitnehmer an
einer vom Arbeitgeber finanzier-
ten Fortbildung teil, können die
Vertragsparteien eine sog. Rück-
zahlungsklausel vereinbaren,
wonach der Arbeitnehmer die
vom Arbeitgeber aufgewende-
ten Fortbildungskosten diesem
zu erstatten hat, wenn er das
Arbeitsverhältnis vor Ablauf
einer bestimmten Frist (Bin-
dungsdauer) beendet.
Verhältnismäßigkeit von
Rückzahlungsklauseln
Solche Klauseln sind deshalb
grundsätzlich zulässig, weil der
Arbeitgeber in der Regel ein
Interesse daran hat, die durch
ihn finanzierte zusätzliche Qua-
lifikation des Arbeitnehmers
möglichst langfristig für den
Betrieb nutzen zu können. An-
dererseits hat ein Arbeitnehmer
ein Interesse daran, seinen Ar-
beitsplatz jederzeit frei wählen
zu können, ohne mit besonde-
ren Kosten von Fortbildungen
belastet zu werden. Aus diesem
Grund ist eine Rückzahlungs-
klausel nur dann wirksam, wenn
die Bindung des Arbeitnehmers
im Hinblick auf die erworbene
Qualifikation nicht unverhält-
nismäßig lang ist. Er muss nach
Ablauf einer angemessenen Zeit
das Arbeitsverhältnis beenden
können, ohne mit Erstattungs-
kosten für besuchte Fortbildun-
gen belastet zu werden.
Qualität der Fortbildung
Eine Kostenbeteiligung ist
dem Arbeitnehmer umso eher
zuzumuten, je größer sein durch
die Fortbildung erlangter Vor-
teil ist. D. h., eine Bindungs-
dauer kann umso länger sein,
wenn der Arbeitnehmer eine
Fortbildung erhält, die ihm da-
durch einen geldwerten Vorteil
bringt, dass er bei seinem bis-
herigen Arbeitgeber die Voraus-
setzungen einer höheren Ver-
gütung erfüllt oder sich die
erworbenen Kenntnisse ander-
weitig auf dem Arbeitsmarkt
nutzbar machen kann.
Eine Kostenbeteiligung des
Arbeitnehmers scheidet dage-
gen in der Regel aus, wenn die
Fortbildung nur innerbetrieblich
von Nutzen ist oder lediglich
der Auffrischung vorhandener
Kenntnisse dient. Gleiches gilt,
wenn die Fortbildung betrieb-
lichen Begebenheiten dient. In
diesem Fall kann keine Rückzah-
lungsklausel vereinbart werden.
Sowohl die Dauer der Fort-
bildung als auch die Höhe der
Arbeitgeberaufwendungen sind
Indiz für die Qualität der erwor-
benen Qualifikation durch die
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