Schützen & Erhalten - page 16

ARBEITS- UND SOZIALRECHT
Zu Unrecht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge
Mitarbeitende Familienangehörige zahlen
oft zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge
– und bekommen im Ernstfall keine Leistungen
Sozialversicherungsbei-
träge zahlen, ohne einen
Leistungsanspruch zu er-
werben? In Deutschland
leider durchaus üblich.
Betroffen sind vor allem mit-
arbeitende Familienangehörige,
die davon ausgehen, wenn sie
einen steuerlich anerkannten
Arbeitsvertrag abgeschlossen
haben und ihnen der Betrieb
nicht gehört, seien sie wie alle
anderen Angestellten auch so-
zialversicherungspflichtig. Gut-
gläubig zahlen sie oft jahrzehn-
telang Beiträge zu Arbeitslosen-
und Rentenversicherung. Doch
wenn es zum Versicherungsfall
kommt, etwa bei Insolvenz oder
Berufsunfähigkeit, flattert nicht
selten ein Ablehnungsbescheid
ins Haus. Dann bleibt nur noch
die Rückforderung der Beiträ-
ge – angesichts diverser miss-
verständlicher Formulare ein
mühsames Geschäft.
Doch wie kann es zu dieser
Sozialversicherungsfalle kom-
men? Die Zuständigkeiten
fallen im System der Sozialver-
sicherung auseinander. Kranken-
kassen ziehen die Beiträge ein,
prüfen aber so gut wie nie, ob
sie zu Recht entrichtet werden.
Betriebsprüfer prüfen stichpro-
benartig nur, ob die Beiträge
in der richtigen Höhe abgeführt
wurden. Erst, wenn der Betrof-
fene Leistungen beantragt, wird
das Beschäftigungsverhältnis
unter die Lupe genommen. So
will die Agentur für Arbeit (frü-
her: Arbeitsamt) unter Frage 11
im Antrag auf Insolvenzgeld
wissen, ob der Antragsteller ein
Familienangehöriger seines frü-
heren Arbeitgebers ist. Wenn ja,
folgt häufig die Ablehnung von
Leistungen. Der Grund: Leistun-
gen bekommt nur, wer sozial-
versicherungspflichtig war. Der
Sozialversicherungspflicht unter-
liegen Personen, die nichtselb-
ständig in einem Arbeitsverhält-
nis beschäftigt sind.
Anhaltspunkte für eine Beschäf-
tigung sind eine Tätigkeit nach
Weisungen und eine Eingliede-
rung in die Arbeitsorganisati-
on des Weisungsgebers. Defini-
tionen existieren nicht.
Verwandte des Betriebsinhabers
sind aber häufig nicht abhän-
gig und daher auch nicht sozi-
alversicherungspflichtig.
Die Sozialversicherung dient
zum Schutz der schwächsten
Beteiligten am Wirtschaftsleben.
Dies waren traditionell vor al-
lem Arbeiter und Angestellte,
deren einziges Kapital die ei-
gene Arbeitskraft darstellte und
die eine Entlassung oder schwe-
re Krankheit ebenso unvorbe-
reitet wie unabgesichert traf.
Unternehmer hingegen besitzen
Sachwerte wie die Produktions-
stätte und -mittel und treffen
Statusentscheidungen selbst.
Ihnen sollte das Solidarsystem
nicht zugute kommen. Vor die-
sem Hintergrund wird deutlich,
weshalb im Versicherungsfall
bestimmten Betroffenen Lei-
stungen verweigert werden:
Familienangehörige des Unter-
nehmers unterscheiden sich oft
von fremden Angestellten. Durch
ein Darlehen oder eine Bürg-
schaft wird etwa die für Ver-
waltungsarbeiten angestellte
Ehefrau rasch zur „Mitunterneh-
merin“. Auch gehört nicht sel-
ten das Gebäude, in welchem
sich die Werkstatt oder das Büro
befindet, zumindest teilweise
auch der Frau des Betriebsin-
habers. Wenn sie dann auch
noch gelernte Bankkauffrau,
Steuerfachgehilfin oder ähnli-
ches ist, unterliegt sie als „fak-
tische Geschäftsführerin“, Bü-
roleiterin oder Managerin des
„Papierkrams“ oft durch über-
legenes Fachwissen oder wegen
familiärer Verbundenheit bei
ihrer Tätigkeit keinen Weisun-
gen. Ähnliches gilt für die Kin-
der, die im Betrieb mitarbeiten,
sich vielleicht schon auf die
spätere Übernahme vorbereiten
und bestimmte Geschäftsberei-
che eigenverantwortlich ausbau-
en. Verwandte müssen auch
nicht „nach Stechuhr“ arbeiten,
sind vielleicht gar nicht in die
Arbeitsorganisation eingeglie-
dert. Sie alle sind nicht abhän-
gig beschäftigt im sozialversi-
cherungsrechtlichen Sinn – auch
wenn ihnen das Unternehmen
nicht gehört und sie arbeits- wie
steuerrechtlich zu Arbeitneh-
mern zählen.
Die Anzahl der von dieser
Rechtslücke Betroffenen ist
nicht erfasst; anhand ihrer
mehrjährigen Erfahrung geht die
Dortmunder Unternehmens-
beratung Financial Networx
Dortmund von einer Million Be-
troffenen aus. Viele hundert
Mandanten haben die Spezia-
listen schon erfolgreich aus der
Sozialversicherungsfalle geholt
und ihnen Wege aufgezeigt, sich
abzusichern. Inhaberin Christina
Nickel: „Wir prüfen unverbind-
lich, ob ein Familienangehöri-
ger oder ein Geschäftsführer von
dieser Sozialversicherungsfalle
betroffen sein könnte. Wenn ja,
lassen wir das offiziell überprü-
fen und verschaffen dem Man-
danten Rechtssicherheit. Stellt
sich heraus, dass eine Sozial-
versicherungspflicht nicht vor-
liegt, holen wir auch die zu
Unrecht entrichteten Beiträge
aus Arbeitslosen- und Renten-
versicherung zurück, letztere für
bis zu 30 Jahre. Die Arbeits-
agenturen hingegen berufen
sich meist auf vierjährige Ver-
jährung, die wir aber auch oft
verhindern konnten.“ Für sei-
ne Kunden hat Financial Net-
worx insgesamt 35 Millionen
Euro zurückgeholt. Diplom-Be-
triebswirtin Christina Nickel gibt
ein anschauliches Beispiel: „Wer
zehn Jahre lang Höchstbeiträ-
ge in die Rentenkassen einge-
zahlt hat, erhält alleine aus
diesem Topf 100.000 Euro zu-
rück. Unsere höchste Einzeler-
stattung lag bei fast einer Vier-
telmillion Euro.“ Anschließend
folgt die wichtigste Dienstlei-
stung der Unternehmensbera-
tung. Versicherungsspezialist
Stephen Nickel: „Wir legen gro-
ßen Wert darauf, den Betroffe-
nen Wege aufzuzeigen, wie sie
sich absichern können. Denn
immerhin mussten unsere Man-
danten die unangenehme Erfah-
rung machen, dass sie sich viele
Jahre lang fälschlich in Sicher-
heit wähnten. Es gilt, existenz-
bedrohende Risiken abzudecken
und insbesondere auch, eine
Alterssicherung zu vermitteln,
die einen sorgenfreien Ruhe-
stand ermöglicht.“
Über eine anstehende
Rechtsänderung informiert Ka-
thi-Gesa Klafke, Justitiarin von
Financial Networx: „Nach Drän-
gen vor allem aus Kreisen be-
troffener Ehefrauen hat die Po-
litik im Zuge von Hartz IV zwei
Vorschriften verändert. Danach
werden die Krankenkassen vom
01.01.2005 an verpflichtet sein,
Neuanmeldungen Familienange-
höriger an die BfA-Clearingstelle
zu melden. Dort wird verbind-
lich festgestellt, ob Sozialver-
sicherungspflicht vorliegt. Daran
wird die Bundesagentur für Ar-
beit leistungsrechtlich gebun-
den sein.“ Jedoch weist die
Juristin darauf hin: „Wer jetzt
Schützen & Erhalten · September 2004 · Seite 16
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